Wien

Zerbrochene Gefühle

von Christian Höller

Fast alle Kinder und Schüler sind am Montag in die Lauder-Chabad-Schule in Wien-Leopoldstadt gekommen. Zwei Kinder blieben zu Hause. »Wir haben die Schüler versammelt und ihnen erklärt, was geschehen ist«, sagt der schockierte Direktor der am Wochenende verwüsteten Schule, Jacob Biderman.
Fast die gesamte Front aus Glas wurde mit einer Eisenstange eingeschlagen. Die meisten Fenster und Türen wurden demoliert. Die Gänge zu den Klassenzimmern glichen einem Scherbenmeer. Pokale aus Sport- und Schulwettbewerben lagen zerstört herum. Mit enormer Brutalität wurden auch WC-Anlagen und Waschbecken zertrümmert. »Es ist der schlimmste antisemitische Akt in Österreich seit 20 Jahren«, empört sich Ariel Muzicant, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in Wien.
Die letzten Schüler und Lehrer hatten das Gebäude in der Nacht auf Sonntag um 1.30 Uhr verlassen, weil sie ein Schulprojekt vorbereiteten. Um 2.48 Uhr verständigten Einwohner die Polizei wegen Lärmbelästigung. Eine Sondereinheit der Si- cherheitskräfte rückte aus und nahm in der Schule einen 30jährigen Kroaten fest. Er hatte ein Fenster eingeschlagen und sich so Zugang in die Schule verschafft.
Der Täter hatte leichtes Spiel, denn die Schule wurde in der Nacht nicht bewacht. Als die Polizei bei der Festnahme nach seinem Namen fragte, antwortete er: »Ich bin Adolf Hitler.« Sonst weiß man über den Täter im Moment noch nicht viel. Bei der Festnahme leistete er keinen Widerstand. Der Verdächtige habe gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) angegeben, »daß er Juden nicht möge«, berichtete ein Sprecher der Wiener Polizei am vergangenen Montag. Für die Behörden ist es unklar, ob der Täter aus antisemitischen Gründen gehandelt hat oder ob er geisteskrank ist.
Die ganze Nacht sei laut Bidermann durchgearbeitet worden, um die Schäden zu beheben und Glassplitter zu beseitigen. Eine Praktikantin aus New York, die sich bis kurz vor dem Eindringen des Täters in dem Gebäude aufhielt, erlitt einen Schock. Eine Schulpsychologin bietet Unterstützung an. Künftig sollen jüdische Einrichtungen in Österreich stärker bewacht werden.
Die Lauder-Chabad-Schule befindet sich im ehemaligen historischen jüdischen Zentrum Wiens. Sie wurde von Ronald Lauder, dem ehemaligen US-Botschafter in Österreich finanziert, und ist mit 362 Schülern eine der größten jüdischen Ausbildungsstätten Österreichs. Sie umfaßt einen Kindergarten, eine Volks- sowie eine Mittelschule.
Für Muzicant stellt sich die Frage, wie ein einziger Täter in einer so kurzen Zeit einen derart hohen Schaden anrichten kann. »Man fragt sich, was geht in einem Mann vor, der eine Schule angreift und so viel zerstört.« Muzicant versichert: »Wir werden uns ganz bestimmt nicht einschüchtern lassen.«
Eine 24stündige Bewachung der ingesamt 40 jüdischen Einrichtungen in Wien sei jedoch nicht zu leisten, sagt Muzicant im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen – der Großteil werde von der Kultusgemeinde selbst finanziert. Sorge bereitet der IKG, daß sich in unmittelbarer Nähe der Schule ein jüdisches Internat befindet, das in der Nacht von der Polizei ebenfalls nicht bewacht wird. Seit Jahren fordert die Kultusgemeinde, daß der österreichische Staat mehr Geld für die Bewachung von jüdischen Einrichtungen zur Verfügung stellt. Dieser Wunsch wurde jedoch bislang nicht erfüllt.
Sorgen macht sich der Gemeindepräsident auch über das politisch-gesellschaftliche Klima in Österreich. Es sei bedenklich, daß erst jüngst ein Abgeordneter des Parlaments gemeint habe, daß die Nazizeit auch etwas Gutes gehabt habe. »Das sind die fließenden Grenzen, die bei uns wieder möglich geworden sind.«
Ähnlich äußert sich Wolfgang Neugebauer von der »Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich«. Laut Neugebauer ist wie in vergleichbaren Fällen in der Vergangenheit auch nun zu befürchten, »daß der Zerstörungsakt rasch als die Tat eines verrückten Sonderlings verharmlost und entpolitisiert wird«. Es bedürfe unabhängig von der psychischen Verfassung des Täters »eines bestimmten – eben antisemitischen – Klimas«, das »solche verabscheuungswürdige Taten« hervorbringe.
Neugebauer verweist auf eine Umfrage, wonach 57 Prozent der Österreicher eher und 11 Prozent sehr »negative Gefühle gegenüber Juden« haben. Für Leon Zelman vom »Jewish Welcome Service« ist die Lauder-Chabad-Schule ein Symbol wiedererstandenen jüdischen Lebens in Wien nach der Schoa. »Eine derartige Tat im Jahre 2006 ist daher mehr als beunruhigend und muß uns ein Warnsignal sein.«

Debatte

Schweden stoppt Unterstützung von UNRWA

Hintergrund des Schrittes ist die Entscheidung Israels, der UNRWA wegen ihrer Verwirklichung in den palästinensischen Terror jegliche Tätigkeit auf israelischem Territorium zu untersagen

 20.12.2024

Kunst

Leitung der documenta 16 wird heute bekanntgegeben 

Wer wird die nächste documenta kuratieren? Die Findungskommission der für 2027 geplanten Schau will ihre Entscheidung jetzt bekanntgeben

von Nicole Schippers  17.12.2024

Nach Assad-Sturz

Libanesischer Politiker ruft Landsleute zur Rückkehr auf

Im von zahlreichen Krisen geplagten Libanon herrscht neue Zuversicht. Nach den Worten eines wichtigen Politikers ist die Weihnachtsfreude in diesem Jahr gar »doppelt so groß«

 17.12.2024

Berlin

Chanukka-Basar in der Synagoge Pestalozzistraße: Kuchen, koscherer Glühwein und ein Bühnenprogramm

Am Sonntag findet der Basar im Innenhof der Synagoge statt. Es gibt ein vielfältiges Bühnenprogramm. Auch die »The Swinging Hermlins« werden auftreten

von Christine Schmitt  13.12.2024

Thüringen

Mario Voigt mit Stimmen der Linken zum Ministerpräsident gewählt

Der CDU-Politiker brauchte nur einen Wahlgang

 12.12.2024

Antisemitismus

RIAS: AfD ist eine Gefahr für Juden in Deutschland

Die Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus präsentierte auch neue Zahlen zu antisemitischen Vorfällen

 11.12.2024

Amsterdam

Nach antisemitischer Hetzjagd: Haftstrafen für drei Angeklagte gefordert

Einen Monat nach den Übergriffen stehen nun sieben Menschen vor Gericht

 11.12.2024

Brandenburg

Antisemitismusbeauftragter fordert Priorisierung der Bildungsarbeit

Auch die Sicherheit jüdischer Einrichtungen und Menschen müsse gewährleistet werden, sagte Büttner

 10.12.2024

Berlin

Nach dem Sturz von Assad: Wie geht es nun weiter für die syrischen Flüchtlinge in Deutschland?

von Anne-Béatrice Clasmann  09.12.2024