von Gerhard Mumelter
Keine Gasse Roms ist eng genug, um Autofahrer abzuschrecken. Auf den Gehsteigen abgestellte Mopeds tun ein Übriges, um Fußgängern das Leben zu erschweren. In der Via Santa Maria del Pianto, einer nach der »tränenreichen Maria« benannten Gasse hindert eine gusseiserne Barriere die allgegenwärtigen Mopeds am Weiterfahren. Ein Glücksfall für Angelo Terracina, dessen weiße Tische und Stühle genau dort auf dem holprigen römischen Pflaster Passanten zum Essen und Trinken einladen.
Terracinas neue koschere Weinbar liegt im verwinkelten Gassengewirr des früheren jüdischen Ghettos, nur wenige Schritte von der Synagoge und der antiken Portikus der Oktavia entfernt, in deren Fries man die meisterhaften Recyclingkunst altrömischer Baumeister bestaunen kann. Das Lokal präsentiert sich als Mischung von Café, Bistro, Weinbar und Imbissmöglichkeit für müde Touristen, die von Trastevere über die Tiberinsel in Richtung Pantheon unterwegs sind.
»Nur einige von unseren Gästen kommen aus dem ehemaligen Ghetto«, versichert der junge Besitzer, der die alte Bar der Familie umgebaut und das gastronomische Angebot des Lokals erweitert hat – von Panino über Kuchen und Pizza bis zu Couscous. Mittags treffen sich hier eilige Esser aus den umliegenden Büros und Geschäften zu einem Imbiss, der Aperitif am Abend lockt auch Schickimicki-Besucher an. »Gerne kommen VIPs und Politiker zu uns«, bestätigt Terracina.
In seinem »Kosher Bistro Caffè« kann man 200 verschiedene Weine verkosten. Jedes Produkt ist koscher, die Zubereitung aller Speisen wird vom Maschgiach der jüdischen Gemeinde ebenso strikt überwacht wie rund 30 weitere Restaurants, Metzgereien und Geschäfte in Rom.
»Nach Rinderwahn und Vogelgrippe ist die Zahl der Italiener gewachsen, die gerne koschere Produkte essen, denn die sind besser überwacht«, sagt Terracina. Eine Untersuchung des Sozialforschungsinstituts Eurispes scheint den Trend zu bestätigen: Innerhalb eines Jahres sei der Umsatz um sieben Prozent auf fast 220 Millionen Euro gestiegen. Auch wichtige Lebensmittelproduzenten wie Barilla und Algida stellen koschere Produkte her, die neuerdings in größeren Supermärkten des Landes zu finden sind.
Überzeugung? Trend? Mode? Das Konsumverhalten scheint kontrovers. So war dem vor einem Jahr in Rom eröffneten größten koscheren Bistro Europas (vgl. Jüdische Allgmeine vom 29. November 2007) nur eine kurze Lebensdauer beschieden. Der 350 Quadratmeter große »Mk Kosher« an dem von Touristen überschwemmten Trevibrunnen erwies sich als Misserfolg und musste nach wenigen Monaten schließen.
Einigen jüngeren Mitgliedern der jüdischen Gemeinde, die im neuen Bistro vor einem Glas Wein sitzen, fällt es schwer, ihre Genugtuung darüber zu verbergen. »Koscher allein genügt nicht. Die Konsumenten wollen auch Qualität«, meint Deborah. »Es ist nicht nur wichtig zu wissen, dass im Frittieröl kein Schweinefett ist, die Pommes müssen auch schmecken.« Für koschere Kost registriert die junge Römerin »wachsende Neugier«.
Dafür bietet Angelo Terracina auch didaktische Unterstützung an. In seinem Bistro gibt es nicht nur einen Take-Away-Service, sondern auch eine Bücherecke zum Thema Kaschrut, auch Verkostungen und Kurse sollen einschlägiges Wissen verbreiten. Dass nur wenige Meter neben seinem Bistro ein kleiner Mk-Kosher-Schnellimbiss Chicken Nuggets und Falafel anbietet, bringt Terracina nicht aus der Fassung. Er fürchtet keine Konkurrenz.