von Bernhard Schulz
Die Geschichtspolitik der Bundesregierung ist einen wichtigen Schritt vorangekommen. Mit dem Beschluss über die Verwirklichung des »Sichtbaren Zeichens gegen Flucht und Vertreibung« in Gestalt einer Informations- und Dokumentationsstätte in Berlin erfüllt das Kabinett den im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vereinbarten Auftrag, »im Geist der Versöhnung auch in Berlin ein sichtbares Zeichen« zu setzen, um »an das Unrecht von Vertreibungen zu erinnern«.
Die Dokumentationsstätte soll im »Deutschlandhaus« in der Berliner Stresemannstraße, unweit des Berliner Abgeordnetenhauses und des Potsdamer Platzes, eingerichtet werden. Rund 2.000 Quadratmeter werden auf den zwei unteren Etagen zur Verfügung stehen. Das Gebäude muss zuvor grundsaniert werden; hierfür sind 29 Millionen Euro vorgesehen. Der Jahresetat wird mit 2,4 Millionen Euro veranschlagt. Die Dauerausstellung wird im Kern eng an die Wanderausstellung des Bonner Hauses der Geschichte von 2005 bis 2007 – »Flucht, Vertreibung, Integration« – angelehnt sein. Diese Ausstellung, die auch in Berlin Station gemacht hat, war durchweg positiv beurteilt worden. Insbesondere die deutliche Herausarbeitung der Ursachen der Vertreibung in der verbrecherischen Politik des Nazi-Regimes zerstreute Befürchtungen, die deutsche Geschichte solle umgeschrieben und die Täter- durch die Opferrolle ersetzt werden.
Solche Befürchtungen wurden besonders in Polen laut. Die nationalistische Politik der Gebrüder Kaczynski tat das ihre, die deutschen Initiativen zu diskreditieren. Erst nach dem Regierungswechsel in Polen gelang es Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU), der als gebürtiger Westpreuße selbst zu den Vertriebenen zählt, im Februar die Zustimmung der polnischen Seite zu einer deutschen Dokumentationsstätte zu erreichen. Eine direkte Mitarbeit lehnt die polnische Seite bis heute ab, es wird aber die Beteiligung an einem künftigen Wissenschaftlichen Beirat erwartet.
Die auslegungsfähige Formulierung »Sichtbares Zeichen« im Koalitionsvertrag sollte seinerzeit, im Herbst 2005, die Schwierigkeiten überdecken, die der institutionalisierten Erinnerung an die Vertreibung von rund 12 Millionen Deutschen überwiegend aus Mittel- und Osteuropa entgegenstand. Der Bund der Vertriebenen unter seiner Vorsitzenden, der CDU-Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach, hatte bereits seit dem Jahr 2000 die Errichtung einer Gedenkstätte gefordert. Steinbachs Mitwirkung an der künftigen Dokumentationsstätte ist denn auch höchst fraglich, auch wenn Neumann jeden Eingriff in das Recht der »gesellschaftlichen Gruppen« ablehnt, Mitglieder ihrer Wahl in den künftigen Stiftungsrat zu entsenden.
Die SPD hatte sich lange gegen eine deutsche Institution gesträubt und stattdessen auf ein »Europäisches Netzwerk Erinnerung und Solidarität« gesetzt, das jedoch aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen der betroffenen Länder über den Charakter der Zwangsmigration nie zu konkreter Arbeit fand. Nun begrüßt die SPD die Vorlage Neumanns. Die demonstrative Zurückhaltung in der Wahl des Gebäudes, der Rückgriff auf die einhellig begrüßte Wanderausstellung und der geringe Handlungsspielraum, den die Rechtskonstruktion der künftigen Einrichtung setzt, bürgen dafür, dass das »Sichtbare Zeichen« nicht allzu sichtbar werden wird. Das Interesse der Öffentlichkeit an der Darstellung dieses Kapitels der deutschen Geschichte ist jedoch groß, wie die Auflagen von Büchern wie Günter Grass’ Im Krebsgang oder die Einschaltquoten für Fernsehereignisse wie jüngst den Film über den Untergang der »Gustloff« gezeigt haben. In Berlin wird sich die Vertriebenenstätte in das dichte Geflecht von Erinnerungs- und Gedenkorten einfügen, das in den vergangenen Jahren von der »Topographie des Terrors« bis zur »Wannsee-Villa« ausgespannt worden ist, und in dem das Deutsche Historische Museum und das Jüdische Museum die beiden wichtigsten, weil umfassendsten Einrichtungen der historischen Erinnerung bilden.