von Wladimir Struminski
Das Chaos war perfekt. In immer mehr Landesteilen gingen die Lichter aus. Büros und Betriebe wurden lahmgelegt. Allein in der Industrie wurde der Produktionsausfall auf drei Millionen Euro beziffert. Rund 200 Menschen blieben in Aufzügen stecken. An Verkehrsampeln kam es bestenfalls zu Staus, schlimmstenfalls zu Unfällen. Im Norden mußte der 19jährige Dudu Dahan sterben, als ein von rechts heran- rasender Lkw seinen Pkw erfaßte.
Grund für das in der vergangenen Woche ausgebrochene, stundenlange Tohuwabohu war weder ein Sturm noch ein Streik. Vielmehr sah sich die israelische Elektrizitätsgesellschaft IEC gezwungen, wegen einer Überbeanspruchung ihrer Erzeugungskapazitäten, gezielte Stromabschaltungen vorzunehmen. Die zeitlich und regional begrenzten Abschaltungen, so die Versorger, seien das kleinere Übel. Ohne sie wäre die Stromversorgung möglicherweise landesweit zusammengebrochen. Diese Erklärung überzeugte niemanden. Infrastrukturminister Benjamin Ben-
Elieser schäumte: »Die Stromausfälle sind unannehmbar«. Auf Anweisung des erzürnten Ressortchefs berief das für die Energieversorgung zuständige Ministerium eine Untersuchungskommission ein. Der Vorsitzende der Stromaufsichtsbehörde David Assus mutmaßte sogar, der IEC-Betriebsrat habe die Krise als unerklärte Arbeitskampfnahme herbeigeführt. Darauffhin drohte die Arbeitnehmervertretung mit einer Verleumdungsklage. Derweil schüttelte die Öffentlichkeit nur noch empört den Kopf. Wie kann es sein, wollten viele Israelis wissen, daß ein moderner Industriestaat, der Satelliten und Trägerraketen bauen kann, Stromausfälle wie in der Dritten Welt erleidet.
Dabei sind die Gründe für die Versorgungsnot seit langem bekannt: Experten warnen bereits seit Jahren, daß die IEC über keine ausreichenden Erzeugungsleistungen verfügt. Die derzeitige Gesamtkapazität des staatseigenen Versorgers liegt bei 10.000 Megawatt und stellt 99,8 Prozent der landesweiten Erzeugungsfähigkeit dar. Auf dem Höhepunkt der Krise standen jedoch nur drei Viertel der Anlagen zur Verfügung. Die anderen wurden vor dem Hochsommer gewartet oder fielen wegen technischer Störung aus. Das vor drei Monaten als Dreckschleuder zwangsgeschlossene Tel Aviver Kraftwerk Reading hat die Umstellung auf sauberes Erdgas noch nicht abgeschlossen und stand ebenfalls nicht zur Verfügung. Gleichzeitig erreichte der Strombedarf wegen einer für Anfang Juni noch untypischen Hitzewelle – je nach Region zwischen 30 und 40 Grad – und des daraus resultierenden Massenbetriebs von Klimaanlagen einen Wert von 8.200 Megawatt. Damit aber waren die Versorger überfordert und mußten zum Aus-Schalter greifen. Und das ist erst der Anfang. Für den Sommer rechnet die IEC mit einer Nachfragespitze von 9.200 Megawatt – gewöhnlich um die heiße Mittagszeit. Das aber heißt: Wenn mehr als acht Prozent der Erzeugungskapazität defektbedingt brachliegen, stehen wieder alle Räder still.
Die Lage, sagt der Knessetabgeordnete Mosche Kachlon, verlangt sofortiges Eingreifen der Regierung. Nur läßt sich bei der Stromerzeugung wenig bewegen. Zudem ist unklar, wer die erforderlichen Zusatzkapazitäten installieren soll. Grundsätzlich will die Regierung einen Großteil der neuen Kraftwerke von unabhängigen Stromproduzenten bauen lassen. Einige Großprojekte befinden sich auch im Planungs- oder Vorbereitungsstadium. Allerdings schreitet der Aufbau der privaten Kapazitäten langsamer als ursprünglich erhofft voran. Von der energiepolitischen Vorgabe, einen Erzeugungsanteil von einem Fünftel zu erreichen sind die unabhängigen Produzenten noch Lichtjahre entfernt. »Offenbar«, spottete eine Vertreterin der IEC über die Konkurrenz, »ist der Bau von Kraftwerken nicht ganz so einfach.« Auch bei der IEC laufen die Ausbaumaßnahmen nicht so schnell wie geplant. Die Schuld daran sehen die Monopolisten allerdings bei der Regierung. Sie ziehe das Genehmigungsverfahren für neue Kraftwerke unnötig in die Länge. So etwa habe das Kabinett die Errichtung eines großen Kohlekraftwerks zwar grundsätzlich beschlossen, doch lägen die behördlichen Baugenehmigungen noch nicht vor. Daher sei ein Termin für die Inbetriebnahme schwer zu nennen.
Die Dimensionen der energiepolitischen Krise lassen sich auch am Streit über eine grundlegende Reform der Elektrizitätswirtschaft erkennen. Bereits im vergangenen Jahr hat die Knesset eine Zerschlagung der IEC in mehrere miteinander konkurrierende Stromversorger beschlossen. Dann aber beugte sich die Regierung dem Druck des Monopolisten und setzte den Strukturwandel bis März 2007 aus. Eine absurde Folge des Zerwürfnisses: Zwei funkelnagelneue Kraftwerke im Landeszentrum beziehungsweise im Norden konnten bisher nicht in Betrieb genommen werden. Die Regierung fordert, die beiden Anlagen müßten von eigenständigen Betreibern übernommen werden. Diese Anweisung hat die IEC-Belegschaft verweigert und vor Gericht angefochten. Hätten aber die Anlagen in Geser und Alon Tawor den Betrieb bereits aufgenommen, wäre die jüngste Zwangsabschaltung nicht passiert. Fragt sich nur, wie die Untersuchungskommission das den Eltern von Dudu Dahan erklärt.