von Johannes Laubach
»Das Lied habe ich zum letzten Mal in Limburg gehört«, sagt Lothar Lee Liebmann mit bewegter Stimme. Das letzte Mal, das ist vor seiner Flucht gewesen. Als Liebmann, Jahrgang 1923, 14 Jahre alt war, schickte ihn sein Vater nach England. Dort lebte schon Lees ältere Schwester. So überlebte Liebmann den Holocaust. Und so ist der alte Mann, der heute in den Vereinigten Staaten zu Hause ist, ein noch lebender Zeuge jüdischen Lebens in Limburg. Als der Chor der Jüdischen Gemeinde Darmstadt das »Jismechu Haschamaim« anstimmt und Lee Liebmann es zum ersten Mal nach so langer Zeit wieder hört, geschieht es aus einem freudigen Anlass: der Einweihung des neuen jüdischen Gemeindehauses mit Synagoge am vergangenen Sonntag.
Von Wurzeln und von Wundern ist an diesem Wintertag in Limburg, einer Kreisstadt mit rund 35.000 Einwohnern zwischen Frankfurt und Köln, häufig die Rede. Für den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) stecken die Wurzeln des jüdischen Lebens in Limburg zwar tief im Boden verborgen, aber sind immer noch vorhanden. Bürgermeister Martin Richard (CDU) und Moritz Neumann, der Vorsitzende des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden in Hessen, zitieren beide den Zionisten Theodor Herzl: »Wer nicht an Wunder glaubt, der ist kein Realist«, um das zu beschreiben, was in Limburg geschieht.
Aus diesen Wurzeln jüdischen Lebens solle nun wieder die jüdische Gemeinde sprießen. Dass dies in einem Haus ge-schieht, das zuvor von Christen als Stätte des Gebets und der Gemeinde genutzt wurde, ist eine absolute Ausnahme, wie Neumann erklärt. Zu Beginn der Feier bringt Neumann begleitet von Rabbiner Menachem Mendel Gurewitz aus Offenbach und zuständig als Gemeinderabbiner für die Limburger Juden, die Tora in die Synagoge und in den Aron Hakodesch ein.
»Ich bin sehr glücklich«, sagt Elena Kopirovskaja, Vorsitzende der 200 Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft in Limburg. Sie erhofft sich vom neuen Zentrum eine Belebung der Gemeinde. Das nächste Projekt, das verwirklicht werden soll, ist eine Bibliothek im neuen Haus, sagt sie.
»Das Resultat macht uns froh«, sagt Neumann. Das Prinzip Hoffnung habe die Handelnden dabei geleitet, so der Landesvorsitzende. Hoffnung, die allerdings auch mit ganz konkreter Hilfe unterstützt wurde. Neumann dankte dabei ausdrücklich Ministerpräsident Koch und dem hessischen Finanzminister Karlheinz Weimar für deren persönlichen Einsatz.
Ohne finanzielle Hilfe des Landes und der Stadt wäre die neue Bleibe für die Gemeinde nicht finanzierbar gewesen, daran ließ Neumann keinen Zweifel. 850.000 Euro haben der Kauf und die Renovierung gekostet. Im Rahmen der Integrationbemühungen, die neue Gemeinde mit Sitz in Limburg besteht ausschließlich aus ehemaligen Bürgern der Sowjetunion, gibt es auch weiterhin Unterstützung.
»Limburg, das hieß für uns über viele Jahre nur Friedhof«, erinnert Neumann. Es gab kein Gemeindeleben, an das die Neubürger, die aus einem religionsfeindlichen Land in ihre neue Heimat gekommen wa- ren, hätten anknüpfen können. Das erfordere auch in Zukunft eine enge Begleitung durch den Landesverband. Allerdings gab es für die Gemeinde, die seit zehn Jahren besteht, immer wieder auch Unterstützung. Neumann dankte dabei ausdrücklich Christa Pullmann, der Vorsitzenden der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
Dass »jüdisches Leben wieder zu einem Stück Normalität und zu einer verbreiteten Erfahrung der Menschen in unserem Land werden kann«, erhofft sich Ministerpräsident Koch von dem neuen Gemeindehaus. Er forderte dazu auf, jüdisches Leben in der Praxis zu erleben. Die Einweihung bezeichnete er als einen »großen Gewinn nicht nur für die jüdischen Gemeinden, sondern für unser Land insgesamt«.
Bürgermeister Martin Richard erinnert an das zähe Ringen um das neue Gemeindehaus. Das Gebäude war zuvor über viele Jahr von der Freien evangelischen Gemeinde genutzt worden. Doch der ganze Prozess des Werdens sei stets von dem Willen geprägt gewesen, eine Stätte für die jüdische Gemeinde zu finden.
Eine Stätte, der es nach Einschätzung des Architekten Alfred Jacoby anzumerken ist, dass sie schon zuvor für das ge- meinsame Gebet, die Zusammenkunft im Glauben genutzt wurde. Die Veränderungen neben den notwendigen Sanierungen hätten sich daher auf das Notwendigste beschränkt.
Glück- und Segenswünsche überbringen der jüdischen Gemeinde auch die Vertreter der christlichen Gemeinden der Stadt. Christa Pullmann erinnert an die verschiedenen Stätten, an denen sich die jüdische Gemeinde in den vergangenen Jahren versammelte. Der Bezirkscaritasverband bot eine Bleibe auf Zeit, eine katholische Mädchenschule sowie eine Schule des Kreises ebenso. Die Zeit der Provisorien ist vorbei, die Gemeinde hat eine Bleibe, ein Zentrum. Und die Stadt Limburg hat nach über 70 Jahren wieder eine Synagoge.