von Lisa Borgemeister
Wer am vergangenen Wochenende das kleine Kurstädtchen Bad Kissingen besuchen wollte und zufälligerweise im Hotel Frankenland übernachtete, der wird sich sehr gewundert haben. Im ganzen Haus wimmelte es nur so von jungen Menschen, die von Konferenzraum zu Konferenzraum liefen, den Whirlpool im Wellnessbereich eroberten und sich im Foyer bei einem Kaffee mit Freunden unterhielten.
Knapp 300 junge Menschen im Alter zwischen 20 und 36 Jahren waren der Einladung des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWSt) gefolgt und verbrachten ein verlängertes Wochenende in Bad Kissingen beim Jugendkongress. »Eigentlich wollten wir das Treffen in diesem Jahr in Deutschland ausfallen lassen und stattdessen mit Jugendlichen nach Israel fahren«, erzählt Inka Margulies vom Jugendreferat der ZWSt. Doch dann habe es eine Flut von E-Mails gegeben, geschrieben von entrüsteten Jugendlichen, die auf das jährliche Treffen nicht verzichten wollten. »Also haben wir kurzfristig doch noch ein Wochenende auf die Beine gestellt.« Die Reise nach Israel folgt im Herbst. Darauf einstimmen konnten sich die Jugendlichen jedoch jetzt schon.
»60 Jahre Israel – Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen«, lautete das Kongressthema. Viele namhafte Referenten konnten die Organisatoren dazu gewinnen, unter ihnen zum Beispiel die ehemaligen Botschafter des Staates Israel, Avi Primor und Yehudi Kinar, die Israel-Korrespondentin der Zeit, Gisela Dachs, die Publizistin Mirjam Pressler und den Bundesgeschäftsführer der Deutsch-Israelischen Wirtschaftsvereinigung, Grisha Alroi-Arloser und bei der Podiumsdiskussion am Sonntag Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch. In Vorträgen, Diskussionsrunden und Workshops setzten sie sich zusammen und debattierten mit Teilnehmern aus ganz Deutschland über die Geschichte und die aktuelle Situation des Staates Israel. Auch eine mögliche EU-Mitgliedschaft Israels sowie das politische und wirtschaftliche Verhältnis des Staates zu Europa wurden diskutiert. Itamar Yaar, Brigadegeneral der israelischen Armee hielt einen Vortrag über Krieg und Frieden im Nahen Osten.
Auch Abraham Lehrer, Vorsitzender der ZWSt, weiß um die Aktualität des Themas. »Für uns Juden in der Diaspora hat der Staat Israel eine besondere Bedeutung«, sagt er. »Uns zeichnet eine Solidarität mit den Menschen und ihren Problemen aus, unabhängig von der amtierenden Regierung oder den Parteien der Regierungskoalition.« Diese spezielle Beziehung führe immer wieder zu Aussagen wie »in eurem Land« oder sogar »was ihr mit den Palästinensern macht«. Dem Gleichsetzen von Juden und Israelis könne man nicht entgehen. Dementsprechend groß ist das Interesse der jungen Kongressteilnehmer.
Mucksmäuschenstill sitzen sie in den Workshop-Räumen und lauschen den Berichten und Erzählungen der Referenten. Besonders viel ist beim Vortrag von Lea Golan, Direktorin der Israelabteilung der Jewish Agency, los. »Die Bedeutung von Einwanderung und Integration in der israelischen Gesellschaft« ist ihr Thema. Die meisten Zuhörer haben schwarze Knöpfe im Ohr, denn ein Dolmetscher überträgt den Vortrag simultan. Golan präsentiert einen Abriss über die Bevölkerungsentwicklung in Israel und fragt die Teilnehmer dann nach ihren eigenen Prognosen über die Zukunft des Staates. Sofort recken sich rund ein Dutzend Hände in die Luft. Ähnlich diskussionsfreudig sind die Besucher der anderen Workshops. So sehr, dass sich sogar das Mittagessen verzögert. »Das ist hier immer so«, schmunzelt ein 24 Jahre alter Besucher aus Niedersachsen. »Den Zeitplan halten wir fast nie ein.« Im Speisesaal herrscht geschäftiges Treiben und ein Stimmengemurmel aus vielen verschiedenen Sprachen. Ein großes Buffet ist aufgebaut und die Jugendlichen sitzen an runden Tischen zusammen und unterhalten sich.
Blaue Anstecker mit Angabe von Namen und Heimatstadt erleichtern die Kontaktaufnahme. Spätestens bei der großen Party am Samstagabend, berichtet die Studentin, breche das Eis endgültig. Mit Live-Musik feiern und tanzen die jungen Menschen dann bis in den frühen Morgen. Politische Diskussionen und das Kennenlernen anderer junger Juden – beides ist wichtig auf dem Jugendkongress. Hinter vorgehaltener Hand wird er oft als eine Art »Heiratsmarkt« beschrieben. Auf die Frage, was dran ist an diesem Gerücht, lacht Mitorganisatorin Inka Margulies laut auf. »Hier ha-
ben sich schon einige Paare gefunden«, bestätigt sie und strahlt dabei. »Wir haben mittlerweile auch die ersten Ehepaare und sogar junge Familien dabei.« Für junge Juden in Deutschland gebe es nur wenige Möglichkeiten, sich in solch großen Gruppen zu treffen und kennenzulernen.
Den Jugendkongress gibt es seit 1992. In den vergangenen Jahren kamen die Jugendlichen wiederholt nach Düsseldorf, weil Paul Spiegel sel. A. dort wohnte. Bad Kissingen war zum ersten Mal an der Reihe und hat sich nach Angaben von Inka Margulies als »ziemlich ideal« erwiesen: »Die Hotelbetreiber sind uns sehr entgegengekommen und haben uns sogar eine eigene Küche zur Verfügung gestellt«, erzählt sie. Ein gesonderter Speiseraum, viele Seminarzimmer und das freundliche Ambiente böten eine angenehme Atmosphäre für den Kongress. »Wir würden gerne in den nächsten Jahren wiederkommen«, verrät sie. Zunächst einmal geht die Reise im September jedoch nach Israel. Wer mitfahren will, sollte sich frühzeitig anmelden. Aus logistischen Gründen müssen die Veranstalter die Teilnehmerzahl auf 250 Personen begrenzen.