von Elke Wittich
Kurz vorm neuen Semester bevölkern hauptsächlich Handwerker die Berliner Technische Universität (TU). Sie gucken überrascht auf die vielen Menschen, die plötzlich, Zeitpläne in der Hand, auf der Suche nach Raumnummern durch die sonst so stillen Gänge eilen. »Das sind keine richtigen Studenten, das ist die Sommeruni«, klärt ein Arbeiter die Kollegen auf. Die nicken kurz, sowas hatten sie sich gedacht – die Mehrzahl »dieser Leute« entspricht nicht dem studentischen Altersschnitt.
Die vom 4. bis 6. September vom Zentrum für Antisemitismusforschung veranstaltete »Sommeruniversität gegen Antisemitismus« richtet sich an Multiplikatoren der politischen Bildung wie Lehrer, Mitarbeiter von Parteien und Gewerkschaften, denen »Argumentationsmuster« zur alltäglichen Auseinandersetzung mit Antisemitismus angeboten werden. Die Vorlesungen umfassen sowohl historische Aspekte der Judenfeindschaft wie die Geschichte des Antisemitismus seit dem 18. Jahrhundert als auch aktuelle Bestandsaufnahmen der Situation in verschiedenen europäischen Ländern. In nachmittäglichen Workshops erarbeiten die Teilnehmer Themen wie »Philosemitismus – Ausgrenzung durch Vereinnahmung« und »Judenbilder. Stereotype Vorstellungen vom Juden«. Wissensvermittlung allein reicht jedoch nicht aus, um Vorurteile zu verhindern. »Je höher die Bildung eines Menschen ist, desto weniger Vorurteile hat er«, sagt Isabel Enzenbach, die den Workshop »Antisemitismus als Unterrichtsthema« leitet. Sie schränkt aber ein: »Von der Gleichung bessere Bildung - besserer Mensch kann nicht die Rede sein. Im Kaiserreich war Antisemitismus gerade in Kreisen, in denen es kaum Bildungsdefizite gab, zum Beispiel in den Studentenorganisationen, sehr verbreitet.« Neben Wissen sei daher der Erwerb sozialer Kompetenzen wichtig, wie die Fähigkeit zum Mitfühlen, während »einseitig auf Materielles und Leistungsorientierung ausgerichtete Wertevermittlung leicht zu Ausgrenzungstendenzen« führe.
Von der langen jüdischen Geschichte in Deutschland werde im Unterricht zudem meist kaum gesprochen. Auch was das Judentum überhaupt ausmacht, sei den meisten Schülern – und Erwachsenen – kaum bekannt. Zentrales Thema sei der Holocaust. »Angesichts der Bilder von Leichenbergen entsteht leicht als Subtext, daß antisemitische Vorfälle, die nicht direkt in Gas- kammern führen, nicht so schlimm sind.«
Dazu gehören auch judenfeindliche Internetseiten, deren Inhalte von Schülern nicht automatisch als Hetzpropaganda erkannt werden. Die Studentin Yvonne etwa berichtet von einem Gespräch, das sie mit einem Lehrer an einem jüdischen Gymnasium führte. Der hatte mit seinen Neuntklässlern über die »Protokolle der Weisen von Zion« gesprochen und ihnen aufgegeben, im Internet dazu nachzuforschen. Die Schüler übernahmen in ihren Hausarbeiten kritiklos, was sie im Web fanden.
Wissen wirkt sich auch darauf aus, wie man Bilder wahrnimmt. Enzenbach zeigt eine antisemitische Karikatur aus den 20er Jahren. Was ist darauf zu sehen? »Der geknechtete Arbeiter vor der Karre des jüdischen Finanzkapitals«, lautet die Antwort eines Teilnehmers. Schüler einer Berliner Gesamtschule, die das Wahlpflichtfach Jüdische Geschichte belegt hatten, sahen in dem Bild eine ganz andere Bedeutung: »Der Jude muß die Karre ziehen und wird unterdrückt.« »Liege ich falsch, wenn ich es positiv sehe, daß die Kinder die klassischen Elemente der antisemitischen Karikatur nicht kennen?«, fragt eine Frau. Ein junger Mann wendet ein, die Schüler hätten vermutlich wenig über aktuelles jüdisches Leben in Deutschland erfahren, »sonst wären sie nicht in Opferstereotype verfallen«.
Unterrichtsmaterial kritisch zu betrachten ist Thema im zweiten Teil des Workshops. Ein Arbeitsheft mit dem Titel »Antisemitismus – warum immer noch?« soll in Gruppen analysiert werden. Das Kapitel »Nur Kritik oder Antisemitismus?«, in dem es um Israel und die Palästinenser geht, wird sehr kritisch beurteilt. »Die Hintergründe des Konflikts werden viel zu wenig erklärt«, sagt einer der Teilnehmer, »für mich ähnelt das mehr einer Handlungsanweisung: ›Wie kritisiere ich Israel richtig?‹«.
Nach dem Workshop wird auf dem Flur weiterdiskutiert. »Leider können die Themen nur angerissen werden, aber man nimmt viele Anregungen mit«, sagt Alex, ein Politologie-Student, der aus Wien angereist ist. Besonders positiv sei es, daß man »gemeinsam etwas erarbeiten und so mit Leuten aus sehr unterschiedlichen Berufsfeldern Erfahrungen austauschen« könne. Sehr heterogen seien die Gruppen zusammengesetzt gewesen, sagt auch Claudia Curio vom Zentrum für Antisemitismusforschung später. »Die Leute waren wiß- begierig und neugierig. Sie sind nicht gekommen, um sich bestätigen zu lassen, was sie für gute Menschen sind.« Ein halbes Jahr haben die Vorbereitungen für die erste Sommeruniversität gedauert, unterstützt von der Bundeszentrale für politische Bildung. Die Resonanz hat alle Erwartungen übertroffen. »Wir hatten 170 Teilnehmer«, sagt Curio. Sie kann sich schon bald an die Planung der nächsten Sommeruniversität machen, denn es steht fest, daß die Veranstaltung im nächsten September wieder stattfinden soll.