Herr Leviev, Sie haben bei ihrem zweitägigen Berlinbesuch am Montag zuerst das Mahnmal Gleis 17 und dann die Jüdische Traditionsschule Or Avner besucht. Welche Eindrücke haben Sie gewonnen?
leviev: Dies ist kein normaler Besuch. Denn er verursacht ein Gefühl zwischen Freude und Trauer. Auf der einen Seite die Erinnerung an die Schrecken der Naziherrschaft, auf der anderen Seite diese jüdische Schule und der Kindergarten. Wenn es Bildung gibt, ist die Zukunft gesichert. Im Talmud steht, es sei verboten, in einer Stadt zu wohnen, in der es keinen Arzt und keinen Rabbiner gibt. Gott sei Dank gibt es hier – wieder – beides.
Auch Dank der Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion. Wie beurteilen Sie die Entscheidung russischsprachiger Juden, sich hier niederzulassen?
leviev: Die Tora basiert auf Demokratie und nicht auf Diktatur. Es gilt der Grundsatz der freien Entscheidung: Jeder kann leben, wo er will. Nehmen wir das Beispiel des Kindergartens und der Jüdischen Traditionsschule, wo eine ausgezeichnete Arbeit geleistet wird: Hier lernen Kinder aus den USA, aus Israel, Russland, Deutschland, der Ukraine und aus Kasachstan ihre gemeinsame Tradition kennen. Das ist nicht so wie zum Beispiel in un-
seren Schulen in Odessa, die vor allem von Einheimischen besucht werden. Hier sind es Juden aus aller Welt. Wo Einheit herrscht, gibt es auch Zukunft.
Sie finanzieren das internationale Bildungsnetzwerk »Or Avner«. Was ist Ihre Motivation?
leviev: Ich war bedauerlicherweise kein so guter Schüler. Aber bei meinem Unterricht bei Chabad habe ich das Prinzip verstanden. Und jetzt bemühe ich mich, das zu tun, was jeder Jude tun sollte: Jüdischkeit zu verbreiten. Und daraus ist das inzwischen weltweit größte private Bildungsnetzwerk geworden. Wir haben in der früheren Sowjetunion begonnen, unterhalten dort Einrichtungen für rund 15.000 Schülerinnen und Schüler. Nun sehen wir, dass wir auch hier gebraucht werden. Wir haben das Wissen und die Erfahrung. Damit helfen wir den Gemeinden vor Ort.
Medienberichten zufolge hat das Kinderhilfswerk UNICEF vor wenigen Tagen erklärt, dass es von Ihnen keine Unterstützung mehr wünsche, da Ihre israelischen Bauunternehmen auch Siedlungsprojekte in der Westbank realisieren. Wie bewerten Sie das?
leviev: Es ist sehr traurig, dass philantropische Aktivitäten überhaupt mit Politik in Verbindung gebracht werden. Ich bin mit meinen wirtschaftlichen Unternehmungen und mit meinen Erziehungsprojekten in 60 verschiedenen Ländern tätig. In jedem dieser Länder arbeiten wir entsprechend der jeweiligen Gesetze, auch in Israel. Ich glaube zwar nicht, dass UNICEF meine unternehmerische Arbeit dort als illegal bezeichnen möchte. Wenn dem so ist, dann tut mir das sehr leid.
Das Gespräch führte Detlef David Kauschke.