von Ben Frank
Umdrängt von 500 Gratulanten, feierten Isaac Divekar und Siyona Garsulkar vor Kurzem im Garten der Elie Kadoorie School ihre Hochzeit. Kurz davor waren Divekar, Buchhalter bei einer großen Investmentfirma, und Garsulkar, Fachfrau für Personalfragen, in der berühmten Magen-Hassidim-Synagoge getraut worden. Anders als viele junge indisch-jüdische Ehepaare, die in den vergangenen Jahren das Land verließen, um anderswo nach einer besseren Zukunft zu suchen, will dieses junge Ehepaar in Mumbai bleiben.
»Es gibt heute viel mehr berufliche Chancen und Jobangebote in Indien«, sagt Divekar. Er nennt Call-Center und Outsourcing aus den USA als Beispiele. Junge Juden bleiben im Land und wandern nicht aus. Indiens Volkswirtschaft wächst momentan weltweit am zweitschnellsten (Platz 1 belegt China). 2007 war Indiens Wachstumsrate von 9 Prozent viermal so hoch wie die der USA. Lediglich 49 indische Juden wanderten im vergangenen Jahr nach Israel aus, im Jahr 2004 waren es noch 90, 2003 sogar 143. Die jüdische Bevölkerung in Indien »ist dennoch stabil geblieben«, sagt Elijah Jacob, Landesdirektor beim American Jewish Joint Distribution Committee (JDC) in Indien. Er nennt eine Gesamtzahl von 4.480 Juden in Indien. Etwa 3.700 davon wohnen in Mumbai und dem benachbarten Thane.
Junge indische Juden wie Isaac und Siyona erleben den Aufschwung, der den Subkontinent erfasst hat, hautnah mit. »Nie war es besser, in Indien geboren zu sein«, scheint derzeit die Maxime des Landes, und sie wird beinahe tagtäglich im indischen Fernsehen wiederholt. Mit einer Bevölkerung von etwa 1,15 Milliarden Menschen profitiert Indien, genau wie China, von der hohen Qualifikation seiner Arbeitnehmerschaft und hat sich mittlerweile zu einem Hauptexporteur von Hightech, von Finanz- und anderen Dienstleistungen gemausert.
Die meisten jungen Juden besuchen indische Schulen, in denen Englisch Unterrichtssprache ist, und glänzen später mit Englisch- und Technologie-Kenntnissen. »Juden haben teil am wirtschaftlichen Aufschwung und nutzen ihn für sich«, sagt Antony Korenstein, JDC-Direktor für Indien. Viele junge Juden arbeiten in der Hightech- und Finanzdienstleistungsbranche, während ihre Eltern eher ihr eigenes Geschäft betrieben oder als Manager, Rechtsanwälte und Bankangestellte tätig waren. »Die Eltern sind nicht arm, aber nur sehr wenige von ihnen sind wirklich wohlhabend«, sagt Korenstein.
Juden leben in den Städten, wo die Einkommen rasant klettern und dabei sind, ein internationales Niveau zu erreichen, ein Indiz für den hohen Lebensstandard.
Viele junge Juden arbeiten nachts in einem Call-Center – wenn es in den USA Tag ist. Nach Aussage von Synagogenleitern ist es schwierig, sie dazu zu bewegen, sich für die Gemeinde zu engagieren.
Seit mehr als zwei Jahrtausenden sind Juden Teil des indischen Mosaiks. Das Land des Ganges war sowohl den Juden in der Antike als auch den Juden im Mittelalter bekannt. Im Talmud gibt es eine ganze Reihe von Verweisen auf Indien. Im zwölften Jahrhundert schrieben jüdische Reisende, darunter Benjamin von Tudela, über das jüdische Leben dort.
Im Jahr 1948 lebten etwa 30.000 bis 40.000 Juden in Indien. Die meisten von ihnen wanderten in den darauffolgenden Jahren in den neu gegründeten Staat Israel aus. Inzwischen hört man immer wieder von Migrationsbewegungen in die andere Richtung: Jüdische Singles und Familien verlassen Israel und kehren zurück nach Indien .
So auch Ani Abraham. Der gebürtige Israeli ist 31 Jahre alt und betreibt ein Reiseunternehmen in Cochi. Er ist sich zwar noch nicht ganz sicher, ob er hierbleiben will, aber er sei gern in Indien. Das Leben hier sei »anders als das Leben in Israel«. Warum er den jüdischen Staat verlassen hat? Abraham nennt das Problem der Sicherheit und die Jobungewissheit.
Die jüdische Gemeinde von Mumbai scheint sehr rührig zu sein – vor allem das Angebot für Jugendliche kann sich sehen lassen. Es gibt neun funktionierende sefardisch-orthodoxe Synagogen, allerdings nur zwei Rabbiner. JRU, eine Reformgemeinde, versammelt sich im Evelyn Peters Jewish Community Center. Das vom JDC finanziell unterstützte Gemeindezentrum ist ein Treffpunkt für junge Menschen, heiß begehrt sind der Computerraum und die Bibliothek, außerdem wird Religionsunterricht für Kinder angeboten.
Das JDC hilft älteren Menschen und bedürftigen jüdischen Indern mit einem monatlichen finanziellen Zuschuss und gewährt Unterstützung für Behandlungs- und Medikamentenkosten. Es verschickt junge Menschen zu Lehrgängen ins Ausland. Dort sollen sie für Führungsaufgaben vorbereitet werden. Außerdem stellt das JDC zwei Freiwillige beim Jewish Service Corps: eine Frau und einen Mann. Sie unterrichten an der Religionsschule, die in Mumbai wöchentlich und in Thane alle zwei Wochen zusammenkommt. Darüber hinaus haben sie Weiterbildungskurse für Erwachsene ins Leben gerufen.
Natasha Joseph, Redakteurin der neuen jüdischen Zeitschrift »Kol India«, zählt eine Unmenge an weiteren Aktivitäten in Mumbai auf und kommt zu dem Schluss: Die Infrastruktur für Juden in Indien ist attraktiv geworden.