von Stephan J. Kramer
»Übermäßige Gewalt« – so lautet das beliebteste Schlagwort, mit dem Israels Vorgehen in Gasa von Teilen der Weltöffentlichkeit verurteilt wird. Die Kritiker, die mit diesem Slogan auf den jüdischen Staat einschlagen, lassen sich in drei Kategorien einteilen. Erstens: Israelfeinde, die sich nicht trauen, dem Judenstaat öffentlich die Rolle eines im Angesicht der Hamas-Raketen passiven Opfers zuzuweisen und die sich zugleich in die These von einer angeblich überzogenen Reaktion auf die »harmlosen« Kassams flüchten. An ihren Betonköpfen prallen Tatsachen wirkungslos ab. Die zweite Gruppe verurteilt Israels »übermäßige Gewalt«, weil sie sich als politisch korrekt profilieren will. In Wirklichkeit weiß sie es besser, gibt es aber nicht zu. Drittens gibt es die wirklich Besorgten – Nichtjuden und Juden –, die sich Israels Militärstrategie nicht erklären können. Wenigstens von ihnen kann man erwarten, dass sie für sachliche Argumente offen sind.
Für den Tod palästinensischer Zivilisten, die während der Kämpfe ihr Leben verloren haben, trägt die Hamas Verantwortung. Gewiss: Jedes Menschenleben zählt. Und das Leid der Zivilbevölkerung ist eine Tragödie. Das hat auch der Zentralrat der Juden in Deutschland in aller Deutlichkeit erklärt. Wenn sich Hamas-Terroristen aber hinter dem Rücken der Zivilbe- völkerung verschanzen und sogar ihre eigenen Familien als menschliche Schutzschilde missbrauchen, begehen sie ein Kriegsverbrechen. Dagegen sind militärische Operationen, deren Ziel bewaffnete Feinde sind, in diesem Fall Terroristen der Hamas, völkerrechtlich auch dann erlaubt, wenn Zivilisten von ihren Herrschern in Gefahr gebracht werden. Nicht anders hat es die NATO völlig legitim während ihrer mit 1.200 Kampfmaschinen geführten Luftangriffe im Kosovo-Krieg gehalten. Die Empörung der politischen Gutmenschen ist janusköpfig. Mehr noch: Aufgrund des Völkerrechts wie auch gesunden Menschenverstands richtet sich das Ausmaß einer Verteidigungsstrategie nicht nach dem Maß der Zer- störung, die der Angreifer angerichtet hat. Vielmehr muss und darf der Überfallene die Bedrohung, mit der er konfrontiert ist, wirksam bekämpfen. Deshalb ging es bei der israelischen Operation nicht etwa um eine »Bestrafung« der Hamas – das hätte den massiven Waffeneinsatz in der Tat nicht gerechtfertigt. Um über den israelischen Einsatz fair urteilen zu können, muss berücksichtigt werden, dass Israel nicht nur die unmittelbare Raketenbedrohung seiner Bürger zu bekämpfen hatte (wenngleich dies an sich schon ein ausreichender Grund ist). Vielmehr galt es auch, die Entstehung eines bis an die Zähne bewaffneten islamistischen Klein-Kalifats in Gasa zu verhindern, von dem aus der vom Iran unterstützte und zum großen Teil gesteuerte Vernichtungskampf gegen Israel mit wachsender Vehemenz geführt werden konnte.
Hätte Israel gezögert, wären in einem später unvermeidlichen Krieg auf beiden Seiten noch mehr Menschen gestorben. Es gibt in Israel übrigens etliche – die Rede ist keineswegs von Rechtsextremisten –, die der Regierung vorwerfen, die Armee nicht konsequent genug eingesetzt zu haben. Solche Kritik entspringt der Angst, dass sich die Hamas von den Kriegsfolgen schnell erholen wird. Ich teile diese Sorge.
Die Operation »Gegossenes Blei« wäre vielleicht nicht nötig gewesen, wenn die Völkerfamilie auf die acht Jahre lang währenden Raketenangriffe der Hamas anders reagiert hätte. Es war seit Langem bekannt, dass diese Sprengstoffe, Untersysteme und komplette Raketen über die ägyptische Grenze nach Gasa verbrachte. Hätte Kairo mit technischer und politischer Hilfe des Westens den Schmugglern des Todes das Handwerk gelegt, wären die von ebendiesem Westen zu Recht bedauerten palästinensischen Zivilisten nicht zwischen die Kriegsfronten geraten. Wieso wacht die aufgeklärte Welt erst jetzt auf, um die Grenze zu Gasa abzusichern? Wer es vor dem 27. Dezember 2008 versäumt hat, zu einer Friedensdemo gegen die Hamas auf die Straße zu gehen, sollte sich jetzt nicht wundern.