Frau Künast, was bedeutet das Wort »koscher«?
Dass Lebensmittel nach jüdischen Regeln zubereitet werden, unter anderem Milchiges und Fleischiges getrennt werden. Und dass ein Rabbiner das kontrolliert.
Sie sollen jüngst in einem Wortgefecht die Initiative »Stop the Bomb« als »nicht koscher« bezeichnet haben.
Der Begriff ist durchaus Teil meiner Umgangssprache. Da heißt »nicht koscher« so viel wie »nicht in Ordnung«, zweifelhaft.
Was ist denn an einer Initiative, die sich gegen das iranische Atomprogramm ausspricht, nicht koscher?
Zunächst mal gar nichts. Aber ich habe erfahren, dass »Stop the Bomb« einen militärischen Erstschlag Israels nicht ausschließt. Das steht im Widerspruch zu unserem grünen Politikverständnis. Wir leh-
nen eine atomare Aufrüstung des Iran ab, aber auch einen Erstschlag Israels gegen den Iran. Unsere Haltung ist indes klar: Teheran darf keine Atombombe gegen den jüdischen Staat in die Hand bekommen.
Die »Jerusalem Post« schreibt, dass Sie »Stop the Bomb« als eine »Mossad-Organisation« bezeichnet haben. Stimmt das?
Das habe ich nie gesagt.
Was ist denn vorgefallen?
Vor dem Reichstag standen mehrere Tage lang Leute, die dort Unterschriften gesammelt haben. Ich war immer an ihnen vorbeigegangen und wollte auch an diesem Tag wieder vorbeigehen. Aber einer der Unterschriftensammler verfolgte mich regelrecht, sogar über die Straße. Fast hatte er die Finger in meiner Autotür. Ich hatte ihm gesagt, dass ich nicht unterschreibe, weil ich keine Zeit habe und zu einem Termin muss.
Und dass er »nicht koscher« ist.
Ich muss schon sagen, dass dieser Mann nicht gerade über gute mittelenglische Umgangsformen verfügte. Ich fühlte mich bedrängt.
Was wollen denn die Grünen gegen die Bedrohung Israels durch das iranische Atomprogramm unternehmen?
Die Sicherheit Israels darf auf keinen Fall gefährdet werden. Es geht aber auch darum, den Iran auf einen rechten Weg zu bringen. Nach den Jahren der Konfrontation, wie sie von der Bush-Regierung vorangetrieben wurde, versucht die neue amerikanische Regierung unter Barack Obama, was auch grüne Politik ist: mit Diplomatie dafür zu sorgen, dass sich der Iran der internationalen Kontrolle seiner Nukleartechnologie unterwirft.
Sie sind also für ein iranisches Atomprogramm?
Nein. Wir Grüne sind grundsätzlich gegen Atomenergie. Aber es geht nicht, dass einige Länder Atomkraft zivil nutzen und anderen das Recht dazu absprechen. Wir als Grüne kritisieren an der Atomkraft zweierlei: Erstens ist sie unsicher und gefährlich. Zweitens gibt es eine militärische Komponente. Daher muss der Iran, wenn er Atomtechnologie will, wie andere Länder auch, genau kontrolliert werden.
Wie wollen denn die Grünen den Iran von seiner Anti-Israel-Politik abbringen?
Man segelt ja nicht mit einem Boot gerade auf ein Ziel zu, sondern nutzt die besten Windverhältnisse. Das Bild bedeutet: Man muss dem anderen die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln. Es sind ja nicht einfach nur zwei Länder, sondern auch zwei Systeme, die sich gegenüberstehen: Israel ist ein eher westliches Land, der Iran ein islamisch geprägtes Land. Insofern war die Obama-Rede in Kairo wichtig. Es war gut zu sagen, dass er nicht als Vertreter der größten und führenden Nation spricht, sondern dass er gute Beziehungen wünscht und es viele Probleme gibt, die wir gemeinsam lösen wollen.
Das soll die iranische Politik ändern?
Die Frage in der Politik ist doch die: Wie erlaubt man seinem Gesprächspartner, sich zu bewegen, seine Position zu verändern? Wir brauchen einen gesichtswahrenden, einen respektvollen Umgang miteinander. Die Situation ist ja in der Tat historisch neu: Auf der einen Seite ist da Obama, der den Dialog sucht. Auf der anderen Seite gibt es die Menschen im Iran, die auf die Straße gehen. Der Westen muss sehr aufpassen, dass die Kräfte, die sich dort für einen besseren Iran einsetzen, nicht vom Westen desavouiert werden.
Der Westen ist aber auch mit dem iranischen Regime gut verbändelt.
Es gibt gerade hier in Deutschland die Profitinteressen der Exportwirtschaft, die eine wichtige Rolle spielen. Das fängt bei Siemens an und geht bis in den landwirtschaftlichen Bereich hinein.
Also muss, wer hierzulande der iranischen Opposition helfen will, erst einmal gesellschaftlichen Widerstand überwinden?
Das Wort Gesellschaft ist mir ein zu großes Wort. Es ist konkret die deutsche Exportwirtschaft, die sich von ihren guten Kontakten zum Iran nicht trennen will. Das muss sich ändern, die Unternehmen haben da auch eine Verantwortung.
Was die Sicherheit Israels angeht, wirken die Grünen manchen wie unsichere Kantonisten.
Für uns Grüne stand und steht das Existenzrecht Israels nicht in Frage – dafür stehe auch ich. Und Joschka Fischer ist für diese grüne Grundhaltung der beste Beweis. Dieses Bekenntnis bedeutet jedoch nicht, dass wir Israel ein Recht auf einen militärischen Erstschlag einräumen.
Vor einigen Jahren stand Ihr Fraktionskollege Hans-Christian Ströbele in der Kritik, weil er die Raketenangriffe auf Israel als »logische Folge« der israelischen Politik bezeichnet hatte. Spricht Ströbele noch für die Grünen?
Ströbele hat damals einen Fehler gemacht, und das sieht er auch so. Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich die Prämissen unserer Politik immer klargemacht habe: Die Grünen rütteln nicht an Israels Existenzrecht. Auch Christian Ströbele nicht.
Stellen wir uns eine Umfrage unter den Mitgliedern Ihrer Partei vor. Akzeptieren alle Grünen die Existenz Israels vorbehaltlos?
Eine übergroße Mehrheit, ja.
Verstoßen Mitglieder der Grünen, die das Existenzrecht Israels bestreiten, gegen das Programm der Grünen?
Ja, ganz klar.
Teile der grünen Basis beteiligen sich dagegen immer wieder an Friedensdemonstrationen, auf denen auch Hamas-Fahnen geschwenkt werden.
Ich kann natürlich nicht sicher sein, dass da nicht auch Grüne mitgehen. So etwas wird sich nie hundertprozentig ausschließen lassen. Ziel muss doch sein, dass Israelis und Palästinenser in friedlicher Nachbarschaft leben können.
An der Bereitschaft, Israel zu kritisieren, mangelt es in Ihrer Partei doch nicht.
Wir haben schon immer einen Grundsatz gehabt: Wir sind mit den Ideen loyal, nicht mit dem System. Wir stehen an der Seite Israels, aber wir kritisieren zum Beispiel den Siedlungsbau in Ostjerusalem. Auf der Grundlage unserer solidarischen Haltung mit Israel und mit der jüdischen Bevölkerung in Deutschland nehmen wir uns das Recht, dort Kritik zu üben, wo sie uns gerechtfertigt scheint.