Debatte

Wir sind so frei

Feiertage unterscheiden sich von Werktagen dadurch, dass sie eine bestimmte inhaltliche Bedeutung haben. Feiertage grenzen sich von gemeinen Werktagen ab, aber sie sind auch auf Personengruppen oder Territorien be-
schränkt. »President’s Day« hat für die Be-
wohner der USA eine Bedeutung, wir in Deutschland vernehmen an diesem Tag nur in den Börsennachrichten, dass die Wall Street an diesem Tag keinen Handel treibt. So verhält es sich auch mit religiösen Feiertagen: »Christmas« hat für Chris-ten eine Bedeutung. Juden, die in einem christlich geprägten Land leben, nehmen durch die Stadtdekoration, die an diesen Tagen geschlossenen Läden und vielleicht auch die besondere Stimmung ihrer christlichen Nachbarn von diesem Feiertag Kenntnis, aber eine Bedeutung wird er für sie nicht gewinnen. Muss nun ein Feiertag, der Bedeutung haben soll, gesetzlich ge-
schützt sein? Und wenn ein Feiertag ge-
setzlich geschützt ist, müssen die gesetzlich geschützten Feiertage auch allgemeine Arbeitsfreiheit bedeuten?

Arbeitsfrei Mitte der 90er-Jahre verhandelte die Jüdische Gemeinde zu Berlin mit dem Senat der Stadt einen Staatsvertrag. Bis dahin galt, dass Mitarbeiter im öffentlichen Dienst der Stadt an den gesetzlich geschützten jüdischen Feiertagen – so sie Mitglied der Jüdischen Gemeinde waren – arbeitsfrei hatten. Der Senat bot damals ei-
nen generösen Zuschuss für die Gemeinde, wenn diese zustimmen könnte, dass Mitarbeitern im öffentlichen Dienst – wie in der Privatwirtschaft – an diesen Tagen zwar der Gottesdienstbesuch gewährt werden muss, sie jedoch unmittelbar nach dem Gebet zur Arbeit zu gehen hätten, oder diese Tage von ihrem Urlaubskonto abgezogen würden. Der damalige Gemeindevorsitzende fand diese Regelung plausibel, weil er meinte, er würde auch niemanden einstellen wollen, der bis zu 13 Tage zu-
sätzlich zum bereits vertraglich vorgesehenen Erholungsurlaub nicht zur Arbeit zu kommen brauchte. Wem die Feiertage wichtig wären, der würde Urlaub nehmen. Und wem sie nicht wichtig wären, der kä-
me ohnehin nicht in die Synagoge, brauchte auch keine zusätzlichen arbeitsfreien Tage.
Vor wenigen Jahren wurde der Buß- und Bettag als arbeitsfreier Tag abgeschafft. Damals wurde in der öffentlichen Debatte ähnlich argumentiert und als zusätzliches Argument angeführt, dass das Bruttosozialprodukt um einige Punkte hinter dem Komma gesteigert werden könnte, wenn der Tag zu einem Arbeitstag würde.
Jetzt stelle man sich den großen Klagechor vor, der aufträte, wenn nun nicht nur Juden und Muslime an allen jüdischen und islamischen Feiertagen arbeitsfrei hätten. Doch würde es wirklich dem Feiertag dienen? Würden unsere Gemeinden frömmer, die Synagogen etwa voller?

Gottesdienst Als ich zur Schule ging, gab es in Berlin buchstäblich keine Schule, die am Samstag unterrichtsfrei gehabt hätte. Rabbiner und Kantoren haben immer beklagt, dass Schüler am Schabbat zum Morgengottesdienst nicht in die Synagoge kommen könnten. Aber war es in den Ferienzeiten, wenn samstags keine Schule war, denn wesentlich anders? Und ist es anders geworden, wo es jetzt eine jüdische Schule gibt, die am Schabbat und an jüdischen Feiertagen unterrichtsfrei hat?
Und noch schärfer gefragt: Ist es wirklich so, dass jüdischen Jugendlichen we-
nigstens die Grundgedanken unserer Feiertage geläufig sind? Könnten sie überhaupt eine Entscheidung treffen, zum Beispiel zwischen dem Besuch eines Fußballspiels im Stadion oder dem Besuch des Synagogengottesdienstes an Schemini Azeret? Die Fragen stellen heißt leider schon, sie zu verneinen. Was ist alles wichtiger als ein Synagogenbesuch: Ballett, Fußball, Klavierunterricht, Shoppen – die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Jeder, der auf freiwilliger Basis Schüler unterrichtet, weiß, was den Kalender eines jungen Menschen füllt. Und bei den Erwachsenen? Die Jüdische Gemeinde zu Berlin hat mehr als 10.000 Mitglieder. Alle Kapazitäten in der Stadt zusammengenommen, hat sie vielleicht 2.500 Synagogenplätze anzubieten, von denen selbst an den berühmten drei Tagen im Jahr nur etwa 1.800 besetzt sind. Auch der Einwand, wir hätten Gemeindemitglieder, die »nicht im Jüdischen aufgewachsen« seien, geht an den Tatsachen schon des 20. Jahrhunderts vorbei. 1933, als die Jüdische Gemeinde Berlins 150.000 Mitglieder hatte, verfügte sie über 25.000 Sitzplätze in Synagogen und mietete für die Hohen Feiertage noch einmal soviel in Hörsälen, Theatern und ähnlichem an. Also gingen damals etwa 30 Prozent zu Rosch Haschana und Jom Kippur in die Synagogen – prozentual mehr als heute, aber auch nicht einmal die Hälfte: Wir leben seit langem in einer Gesellschaft, in der Feiertage nicht mehr allgemeinverbindlich und prägend sind.
Es schmerzt den Rabbiner, wenn er konstatieren muss, dass religiöse Regeln nur ein Angebot unter vielen sind. Auch derjenige, der in einer Gemeinde Mitglied ist, sucht sich aus, ob er überhaupt und wann er in die Synagoge geht – und da spielt die Frage, ob es an dem Tag arbeitsfrei gibt oder man dafür einen Urlaubstag heranziehen muss, eher eine untergeordnete Rolle. Gesetzlich lassen sich weder Synagogenbesuch noch Toleranz wirklich verordnen: Der nichtjüdische Schüler in Bayern würde durch einen zusätzlichen schulfreien Tag weder begreifen, was es mit diesem jüdischen oder islamischen Feiertag auf sich hat, noch dem Ganzen irgendeine Bedeutung zumessen. Ob der Vorschlag, man könnte sich dann gegenseitig an den Feiertagen einladen, wie ihn der Vorsitzende der türkischen Gemeinde gemacht hat, tragen kann, muss bezweifelt werden. Denn die Zahl derer, die traditionelle Feiern am häuslichen Tisch feiern, wird immer kleiner. Und selbst wenn es etwa zu Chanukka oder zu Pessach noch zahlreiche Familien gibt, die Mahlzeiten in traditioneller Form halten – wer wird dann in der Lage sein, dazu noch in größerer Zahl, nichtjüdische Teilnehmer einzuladen?

Synagogenbesuch Ob ein jüdischer Schüler an einer öffentlichen Schule durch allgemeines Schulfrei eher in die Synagoge ginge, als wenn er an diesem Tag von seinem Recht gebrauch machte, eben nicht in der Schule erscheinen zu müssen, darf be-
zweifelt werden. Allen jüdischen Lehramtskandidaten empfehle ich, sich zu überlegen, in einem katholischen Bundesland an einer evangelischen Schule zu ar-
beiten, dann haben sie zusammen mit den jüdischen Feiertagen das Maximum an zu-
sätzlicher Freizeit gesichert.
Allen anderen empfehle ich, am nächsten Schabbat oder jüdischen Feiertag in die Synagoge zu kommen. Denn eine neuere Studie in den USA belegt, dass religiös aktive Menschen, die regelmäßig Gottesdienste besuchen, wesentlich länger leben als die anderen Mitglieder unserer Freizeitgesellschaft.

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