Herr Markschies, die Berliner Humboldt-Universität möchte Marcel Reich-Ranicki am 16. Februar die Ehrendoktorwürde verleihen. Wie hat der Literaturkritiker auf die Nachricht reagiert?
markschies: Sehr dankbar und sehr bewegt. Ich habe ihn Mitte Dezember in Frankfurt am Main besucht und es ihm mitgeteilt. Das hat ihn unendlich gefreut. Er hat unser Haus seit April 1938 nicht mehr betreten. Damals verweigerte unsere Vorgängereinrichtung, die Friedrich-Wilhelms-Universität, ihm, dem Juden, die Zulassung.
Wie hätten Sie reagiert, wenn Reich-Ranicki die Ehrung abgelehnt hätte?
markschies: Ich hätte es mit Respekt zur Kenntnis nehmen müssen. Ob Gesten der Entschuldigung oder Versuche, Verantwortung zu übernehmen, von Opfern akzeptiert werden, weiß man vorher nicht, und man kann es auch nicht erzwingen. Wir sind sehr dankbar, dass Herr Reich-Ranicki die Ehrung annimmt.
Warum kommt sie so spät?
markschies: Bevor ich vor einem Jahr die Präsidentschaft übernahm, war es bei uns nur möglich, Menschen die Ehrendoktorwürde zu verleihen, die direkt mit der Humboldt-Universität wissenschaftlich zusammengearbeitet haben. Inzwischen sind die Regularien geändert worden. Nun müssen die wissenschaft- lichen Leistungen nicht mehr in Verbindung mit unserer Universität erbracht worden sein, sondern es muss eine Verbindung des Wissenschaftlers zu unserem Haus geben. Bei Marcel Reich-Ranicki ist es eine sehr bestürzende und traurige Verbindung. Mir liegt daran, einen wirklich großen symbolischen Akt durchzuführen. Denn wir können jemanden, den wir damals abgelehnt haben, nicht nachträglich zu einem Studium zulassen, das er nie wird antreten wollen und können.
Wie steht es an der Humboldt-Universität generell um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit?
markschies: Bis 1990 wurde dieser Teil der Geschichte weitgehend totgeschwiegen, die DDR ging davon aus, dass ausschließlich der Westen Deutschlands in einem Verantwortungs- und Schuldzusammenhang stünde, im Osten dagegen der Antifaschismus zur Herrschaft gekommen sei. Das hat sich nach 1989 geändert; so ist beispielsweise vor einem Jahr eine Reihe von Bänden erschienen, die die Geschichte einzelner Fakultäten und Personen im Nationalsozialismus ausführlich darstellt.
Mit dem Präsidenten der Berliner Humboldt-Universität sprach Tobias Kühn.