Herr Rabbiner, wenn Barack Obama am heutigen Donnerstag auf dem Parteitag der Demokraten seine Nominierung als Präsidentschaftskandidat annimmt, werden Sie vor den rund 70.000 Versammelten ein Bittgebet sprechen, die Invocation. Sind Sie aufgeregt?
saperstein: Ein wenig schon. Es ist eine große Ehre für mich und für die Reformbewegung, dass wir gefragt wurden, an einem Abend von solcher historischen Bedeutung beteiligt zu sein.
Ist es ein Signal, dass die Organisatoren offenbar keinen orthodoxen Rabbiner gefragt haben, das Gebet zu sprechen?
saperstein: Im Gegenteil. Für einen religiösen Führer ist der Gottesdienst zur Eröffnung des Parteitags bedeutsamer. Und den hat am Sonntag von jüdischer Seite Rabbi Tzvi Weinreb geleitet, der geschäftsführende Vizepräsident der Orthodox Union of Jewish Congregations of America.
Manche Kritiker sagen, jüdische Vertreter würden politisch instrumentalisiert. Wie kommt es, dass sie bei diesem Parteitag so stark beteiligt sind?
saperstein: Sowohl bei den Parteitagen der Demokraten als auch bei denen der Republikaner sind Juden als Leiter, Sprecher, Delegierte und Teilnehmer seit Jahren stark vertreten. Darauf sind wir stolz. Wir fühlen uns nicht ausgenutzt.
Bei den Parteitagen der Republikaner sind von jeher viele religiöse Führer vertreten. Warum tun es die Demokraten ihnen jetzt gleich?
saperstein: Wir Amerikaner sind ein religiöses Volk. Die Republikaner haben in den vergangenen Jahrzehnten mit Erfolg die religiösen Gefühle der Wähler erreicht. Vermutlich haben die Demokraten erkannt, dass ihre Politik die moralischen Werte vertritt, die in unseren religiösen Traditionen verwurzelt sind, so wie es die Republikaner sehen.
Wie wichtig sind die jüdischen Wähler? Werden sie nicht überbewertet?
saperstein: Juden in den USA sind fleißige Wähler, spenden überdurchschnittlich viel für politische Kandidaten, und sie leben zumeist in Bundesstaaten, die den Wahlkampf entscheiden. Und weil diese Regionen so ausschlaggebend sind, können jüdische Stimmen keinesfalls überbewertet werden.
Das Gespräch mit dem Direktor des Religious Action Center of Reform Judaism führte Tobias Kühn.