von Miryam Gümbel
»Das Gesicht des Holocaust darf nicht undeutlich geredet werden.« Diese klare und eindeutige Mahnung formulierte Josef Schuster vom Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern bei der Gedenkstunde an der Jüdischen Erinnerungsstätte im ehemaligen Konzentrationslager Dachau. Schuster fuhr fort, dass man in die Aufklärung noch mehr Kraft investieren müsse: »Es darf nicht zum alltäglichen Allerlei gehören, wenn von menschenverachtenden Übergriffen berichtet wird und es darf auch nicht zur Tagesordnung übergegangen werden, wenn Menschen von jungen Einzeltätern oder Gruppen zusammengeschlagen werden.« Dass die Aufforderung zum Gedenken auf offene Ohren stieß, zeigte sich an der Beteiligung derer, die zu der Gedenkstunde kamen. Diesmal waren es nicht nur mehr Menschen als sonst, sondern auch viele der jüngeren Generationen. Von den Überlebenden begrüßte Schuster die Zeitzeugen Max Mannheimer und Isak Wasserstein, die dazu beitragen, dass die Jugendlichen das Geschehene noch aus erster Hand erfahren können. Aus Berlin zu der Feierstunde angereist war auch der israelische Botschafter Yoram Ben-Zeev.
Die jungen Menschen, unter ihnen auch eine Abordnung von Maccabi, sind sich der Vergangenheit und des Schicksals vieler ermordeter Familienangehöriger bewusst. Für Josef Schuster war deren Anwesenheit ein wichtiges Zeichen, zumal es nun an der jungen Generation sei, den Stab für das »Nicht-Vergessen« zu übernehmen. Als große Ehre und Verantwortung sah dies Elina Mazo an, eine Madricha aus Augsburg, die die Jüdische Jugend Bayern vertrat. Ihre kurze, engagierte Ansprache beendete sie mit der Versicherung: »Nie wieder – dafür stehen die Jugendlichen ein.«
Wie wichtig dieser Einsatz ist, das hatte zuvor schon Schuster betont, als er fragte, ob heute Menschen wieder Angst haben müssten, wenn sie Stellung zu vielleicht unbeliebten Themen bezögen. Er nannte die Angst vor Nachteilen bis hin zur Angst vor physischer Gewalt. Mit Blick auf die aktuelle Parteienlandschaft fragte er, ob es nicht ein Skandal sei, wenn »Parteien, die unsere demokratischen Werte ablehnen, nicht nur geduldet, sondern auch noch finanziell genährt« werden. »So unterstützt«, fuhr er fort, »bewegen sie sich wie eine Schlange auf ihr Opfer zu und schlagen dort zu, wo die Umstände es zulassen. Und was tut die Gesellschaft? Kommt erst eine Reaktion, wenn aus dieser Schlange schon eine Hydra geworden ist und man mit deren Bekämpfung nicht mehr nachkommt?« Ebenso wie Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch ging auch er auf die Ereignisse vom 1. Mai in Hamburg, Berlin und Nürnberg ein. Beide dankten voller Anerkennung der Stadt Nürnberg und ihren Bürgern, dass sie der NPD »die kalte Schulter« gezeigt haben. Auch Charlotte Knobloch, selbst Zeitzeugin und Holocaustüberlebende, ist es wichtig, im Bewusstsein eines »Nie wieder!« vorwärts zu schauen: »Wir richten unseren Blick deshalb zugleich nach vorne. So wie es jene Überlebenden tun, die heute bereit sind, Zeugnis abzulegen und trotz allem den Kindern und Kindeskindern deutlich zu machen, dass um einer friedlichen Zukunft willen nicht vergessen werden darf, was einmal in Dachau geschah. Diese ehemaligen Häftlinge haben sich im Angesicht des Schreckens Entscheidendes bewahrt. Den Glauben an den Menschen. Den Glauben an die Möglichkeit, eine bessere Zukunft zu gestalten. Genau damit wird Dachau, ein Ort menschlicher Schande, zu einem Symbol der Demokratie und der Menschenwürde. Denn am Ende des Tages ist es den Nazi-Schergen eben nicht gelungen, ihre Opfer zu brechen: Über alles Morden hinaus haben sie nicht aufgehört zu hoffen und sich dem Leben danach zu stellen.« Mit dem El Mole Rachamim, vorgetragen von Rabbiner Jakov Ebert, endete die Feierstunde an der Jüdischen Gedenkstätte, bevor Josef Schuster einen Kranz zum Gedenken an die Opfer der Schoa niederlegte.