Der Terror der Hamas vom 7. Oktober war nicht nur eine Zäsur für Israel sowie Jüdinnen und Juden weltweit, sondern auch für uns alle in Deutschland. Fast täglich erleben wir auf unseren Straßen und in den sozialen Medien, wie die sogenannte Pro-Palästina-Szene die Mordtaten der Hamas relativiert, rechtfertigt und glorifiziert.
All das hat in der islamistischen Szene zu einer Enthemmung geführt und sich als Radikalisierungsbeschleuniger erwiesen. Die politischen Verantwortlichen müssen endlich realisieren, dass der 7. Oktober und seine Folgen uns auch in Deutschland noch sehr lange beschäftigen werden, selbst dann, wenn der Krieg in Gaza lange vorbei sein wird.
Die Anschläge von Mannheim, Solingen und München
Wenn man sich aber die Debatten nach den islamistischen Anschlägen von Mannheim, Solingen und München anschaut, muss man leider feststellen, dass weder in der Regierung noch in der Opposition ein Bewusstsein für die islamistische Gefahr existiert, die seit dem 7. Oktober eine ganz andere Dimension angenommen hat. Selbstverständlich müssen wir über konsequentere Abschiebungen von Straftätern und Extremisten sprechen.
Aber wer glaubt, dass das Phänomen sich damit quasi in Luft auflöst, hat das Ausmaß des Problems nicht einmal ansatzweise verstanden. Denn genauso wie der Islam ein Teil Deutschlands ist, so ist auch der Islamismus längst deutsche Realität. Und ein Terrorist, der sich dazu entschlossen hat, wahllos Menschen umzubringen, wird garantiert nicht durch »Messerverbotszonen« von seiner Tat abgehalten.
Um den Islamismus einzudämmen, braucht es eine umfassende Strategie. Dafür muss die Politik erst einmal begreifen, dass die islamistische Szene heute anders agiert als noch vor zehn Jahren. Wir haben es mit einer neuen Generation von Islamisten zu tun. Für ihre Propaganda spielen soziale Medien wie TikTok und Telegram eine wesentliche Rolle. Sie erreichen damit eine viel jüngere Zielgruppe als früher.
Die potenziellen Täter sind oftmals noch Jugendliche
Bei vielen vorzeitig vereitelten Anschlägen stellten die Ermittler fest, dass die potenziellen Täter oftmals noch Jugendliche waren. So verurteilte das Landgericht Köln erst im Juni einen 15-Jährigen zu vier Jahren Haft, weil er einen islamistisch motivierten Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Leverkusen geplant hatte.
Zwar gibt es auf Bundes- und Landesebene zahlreiche geförderte Projekte im Bereich Islamismus. Aber weil sich die islamistische Szene ständig verändert und viel im virtuellen Raum geschieht, braucht es eine kritische Evaluierung der Präventionsarbeit.
Wir Muslime dürfen zum islamistischen Hintergrund dieser Taten nicht schweigen.
Die Politik darf sich nicht einfach ausruhen und erhoffen, dass die Projekte Erfolge zeigen. Vielmehr muss man prüfen, inwiefern die Konzepte überhaupt noch wirksam und zeitgemäß sind. Zudem ist eine wahre Präventionsindustrie entstanden, in der es Projekte gibt, auf denen zwar Islamismusprävention steht, die sich dort aber gar nicht findet. Oftmals hat man es auch mit Trägern zu tun, die nur eine identitätspolitische Agenda betreiben und den Islamismus lieber relativieren, als ihn zu bekämpfen. Genau deshalb ist ein kritischer Blick auf die Förderlandschaft wichtiger denn je.
Expertenkreis Islamismus im Bundesinnenministerium
Um eine neue und nachhaltige Strategie zu erarbeiten, muss endlich auch ein breit aufgestellter Expertenkreis Islamismus im Bundesinnenministerium eingerichtet werden. Im Juni 2021 hatte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer einen auf ein Jahr begrenzten Expertenkreis »Politischer Islamismus« einberufen. Seine Mitglieder waren allerdings ausschließlich Vertreter aus der Wissenschaft. Sicherlich können sie wertvolle Beiträge leisten.
Genauso wichtig ist es aber, dass in einer Neuauflage dieses Expertenkreises sowohl Vertreter aus der praktischen Präventionsarbeit als auch Muslime selbst eingebunden sind. Die Perspektive von muslimischen Experten, die einen Einblick in muslimische Lebensrealitäten haben und mit der Art und Weise vertraut sind, wie islamistische Akteure in die deutsch-muslimische Community hineinwirken, ist von elementarer Bedeutung für eine wirksame Strategie gegen den Islamismus. Ohne die aktive Einbindung von Muslimen wird es für Islamisten relativ einfach sein, den Kampf gegen Islamismus als einen gegen alle Muslime und den Islam als Religion zu diffamieren.
Die Terrorakte von Mannheim, Solingen und München haben aber nicht nur gezeigt, wie konzeptlos die Politik gegen die Gefahr des Islamismus agiert. Ebenfalls wurde sehr deutlich, dass die muslimischen Verbände kein Teil der Lösung sind. Zwar haben ihre Vertreter Anteilnahme gezeigt. Aber in ihren Pressemitteilungen waren sie nicht in der Lage – oder auch nicht willens –, etwas zum Motiv der Täter zu sagen. Sie meiden den Begriff Islamismus wie der Teufel das Weihwasser. Aber genau dazu hätte sich eine muslimische Religionsgemeinschaft äußern müssen.
Wenn wir nach Halle und Hanau vor allem über die ideologischen Hintergründe des rechtsextremistischen, antisemitischen und rassistischen Terrors sprechen, dürfen wir als Muslime nach islamistischen Anschlägen nicht zum islamistischen Hintergrund dieser Taten schweigen. Wer das macht, ist Teil des Problems und kann nicht Teil einer Lösung sein.
Der Autor ist Gründer der »Alhambra-Gesellschaft – Muslime für ein plurales Europa«.