Herr Barner, israelischen Medien zufolge wird in diesem Jahr die Zahl der Israelis, die das Land verlassen, höher sein als die Zahl der Neueinwanderer. Steckt die Alija in einer tiefen Krise?
barner: Keinesfalls. Die in den Medien veröffentlichten Zahlen stimmen nicht mit unseren Angaben überein. Wir haben im vergangenen Jahr mehr als 20.000 Einwanderer registriert. Die Zeitungen schreiben, in diesem Jahr würden nur 14.000 erwartet. Hier gibt es deutliche Differenzen, wie auch bei der Bewertung der Zahl der Menschen, die das Land verlassen haben.
Und wie bewerten Sie die Zahlen?
barner: In der von den Medien verwandten Statistik wird jeder aufgeführt, der Israel für mehr als zwei Jahre verlässt. Diese Angaben sind irreführend. Wir leben in modernen Zeiten, im »Global Village«. Viele verlassen Israel, um im Ausland zu studieren oder Geschäfte zu machen. Sie kommen danach wieder zu-
rück. Viele junge Leute gehen gleich nach der Armee für eine bestimmte Zeit nach Südamerika oder in den Fernen Osten. Auch sie kehren zurück. Diese Menschen kann man nicht als Auswanderer in die Bilanz einrechnen.
Dennoch sieht die Bilanz nicht rosig aus. Die Zahl der Neueinwanderer ist so niedrig wie lange nicht mehr.
barner: Auch hier erzählen die absoluten Zahlen nicht die ganze Geschichte: In den 90er Jahren war die Statistik beeinflusst von der starken Einwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion. Die Gemeinden dort sind sehr klein geworden. Gleichzeitig haben wir in den vergangenen fünf Jahren einen Zuwachs bei der Alija aus westlichen Ländern, zum Beispiel aus Frankreich, Großbritannien und den USA.
Viele glauben, der zionistische Gedanke, der der Alija zugrunde liegt, ist tot. Stimmen Sie dem zu?
barner: Klar ist, dass wir in einer postideologischen Ära leben: Postkapitalismus, Postkommunismus, Postnationalismus. Die Menschen gestalten ihr Leben heutzutage immer individueller. Dennoch ist die Bedeutung Israels für die im Ausland lebenden Juden sehr groß. In den jüdischen Gemeinden ist Israel ein zentrales Thema. Leider leben Juden auch vermehrt außerhalb der Gemeinden, sie fühlen sich teilweise auch dem Judentum nicht mehr so verpflichtet. Wir leben in modernen Zeiten, gleichwohl ist die Alija und die zionistische Idee weiterhin aktuell.
Mit dem stv. Leiter der Alija-Abteilung der
Jewish Agency sprach Detlef David Kauschke.