Von Sabine Brandes
Im Shop an der Tel Aviver Sheinkin- Straße lächeln die Verkäuferinnen mehr als gewöhnlich. Fast verzückt bieten die jungen Frauen ihre Bücher, CDs, Kerzen, Duftstäbchen, Mobiles und sonstigen esoterischen Schnickschnack an. Meditative Musik plätschert im Hintergrund. Besonders gefragt in diesen Tagen: das rote Bändchen. Mehr Statement als modisches Accessoire, tragen es die Anhänger des Kabbala-Zentrums rund um die Welt. Hili Chany hat es gerade gekauft und schon ums Handgelenk gewickelt. Beim Rausgehen wünschen die Verkäufer überschwänglich »Schana Towa«, ein gutes Neues Jahr.
Auf der Straße umspielt Chanys Lippen ein seliges Lächeln. »Ja, das fühlt sich gut an«, sagt sie und schaut auf ihren neu dekorierten Unterarm. Kabbala-Anhängerin sei sie nicht und wolle es auch nicht werden, heute aber findet die 21-Jährige die Aussage richtig, dazuzugehören. Und sei es nur durch eine Spende von zehn Schekel und einen Stück Faden am Arm. Das hat seinen Grund: Berühmter Besuch hat sich in der Kabbalistengemeinde angekündigt, und Chany möchte ein kleines Stück des Glamours spüren. »Ich finde es super, dass sie wiederkommt, es ist toll für Israel.«
Ja, sie kommt wieder. Drei Jahre nach ihrem letzten Besuch wird Madonna an diesem Mittwoch erneut in Israel erwartet. Doch diesmal reist die Popikone, die mittlerweile unter ihrem selbst gewählten jüdischen Namen Esther fast genauso bekannt ist, nicht allein. Hochkarätige Hollywoodstars gehören zu ihrer Entourage: Ehemann Guy Ritchie und die drei Kinder des Paares, darunter der kleine David, den die Sängerin vor einem Jahr schlagzeilenträchtig in Malawi adoptierte, Modedesignerin Donna Karan sowie die Kabbala-Enthusiasten und Hollywood-Größen Demi Moore und Ashton Kutcher. Für das Schauspielerehepaar wird es der erste Besuch in Israel sein. Karan war erst vor wenigen Monaten zu einem Besuch im Land, um die Ehrenmitgliedschaft der Schenkar-Universität für Technik und Design in Tel Aviv verliehen zu bekommen. Gemunkelt wurde, dass sich auch Demi Moores Ex-Ehemann Bruce Willis zur Kabbala-Session gesellen würde, nun ist er aber doch nicht dabei.
Gemeinsam mit 3.000 Schülern der Lehre aus 21 Ländern wollen die »Celebs«, eine Art Kosewort für das amerikanische »Celebrities«, das jüdische Neujahr feiern. »Der jährlichen Tradition folgend, veranstaltet das Kabbala-Zentrum Rosch Haschana in Israel mit dem kabbalistischen Rabbi Berg, seiner Frau und Präsidentin des Welt-Kabbala-Zentrums, Karen Berg, sowie den Söhnen Yehuda und Michael«, heißt es in der offiziellen Presseerklärung des Centers.
Madonna, die vor wenigen Wochen ihren 49. Geburtstag feierte, ist seit Jahren bekennendes Mitglied des Kabbala-Zentrums, das von vielen Experten als Kult oder Sekte bezeichnet wird. Das Zentrum selbst beschreibt sich als »spirituelle Bildungseinrichtung, die das Wissen der Kabbala an alle weitergeben und die Botschaft von Liebe, menschlicher Würde und Respekt vorantreiben will«. Gegründet wurde das Center 1922 von Rabbiner Ashlag, einer Berühmtheit unter den Kabbalisten. Rabbi Berg, der die Gottesdienste zu den Hohen Feiertagen leiten wird, ist ein Schüler von Rabbi Brandwin, der wiederum beim Gründer studierte. Gemeinsam mit seiner Frau Karen eröffnete Berg zig Filialen in der ganzen Welt, darunter die in Tel Aviv, Jerusalem und Berlin. Das Hauptquartier befindet sich in Los Angeles.
Es ist ein relativ bescheidenes Gebäude, in das Madonna und Co. regelmäßig einkehren. Im Innern des Gebetssaales sitzen die Männer rechts, die Frauen links. Dominierende Farbe ist weiß, weibliche Besucher werden gebeten, Röcke zu tragen. Den Stars wird ihre Kleiderwahl freilich selbst überlassen. Zu Beginn des Gottesdienstes tanzen die Männer mit den Kindern auf den Schultern durch den Mittelgang und um die Bima, es wird gesungen und rhythmisch geklatscht. Die Gebetbücher werden nicht gelesen, sondern »gescannt«, pro Seite verharren die Mitglieder nur wenige Sekunden. Im Anschluss an die Veranstaltungen des Freitagabends, die die Kabbalisten »Schabbatgottesdienst« nennen, schütteln alle einander die Hände und wünschen »Schabbat Schalom«.
Die meisten Einwohner des jüdischen Staates heißen Madonna willkommen. Aber eben nicht alle: »Madonna ist keine Jüdin, sie darf die Kabbala gar nicht studieren«, sagt ein junger Mann mit gehäkelter Kippa auf dem Hinterkopf. »Es ist nicht richtig, dass sie die heiligen Worte liest und damit auch noch große Werbung macht.« Nichts anderes als Gotteslästerung sei das. »Quatsch«, findet Ma’ajan Rom, »es ist eine freie Welt, sie kann studieren, was sie will. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Diese ›Gesetze‹ sind vor Hunderten oder Tausenden von Jahren gemacht worden und nicht mehr aktuell. Madonna ist eine treue Israelfreundin, die immer kam, als alle anderen ihre Reisen absagten. Dafür sollten sich alle Israelis bei ihr bedanken. Ob sie Kabbala mag oder nicht, ist ihre Privatsache.«
Madonna reist mit ihrer Familie im Privatjet an. Man vermutet, dass ihre Freunde Demi Moore und Ashton Kutcher eingeladen sind, neben ihr Platz zu nehmen. Die zehntägige Reise von Erew Rosch Haschana bis Jom Kippur wird die illustre Gruppe von Tel Aviv über Jerusalem bis nach Galiläa und wahrscheinlich in den Golan führen. Es wird allerdings nicht davon ausgegangen, dass die Berühmtheiten die ganze Zeit an der Tour teilnehmen. Doch die Kabbalisten hoffen, dass sie zum Jom-Kippur-Gottesdienst wieder dabei sein werden. »Geplant sind Gebete, Meditationen und viele andere Aktivitäten an den verschiedenen Orten«, lässt Assaf Levi, Pressesprecher des Kabbala-Zentrums an der Ben-Ami-Straße, wissen.
Darüber, wo die Stars absteigen werden, schweigen sowohl Levi wie auch die Tel Aviver Stadtverwaltung. »Sicherheitsgründe«, lautet die fast mantraähnliche Erklärung. Für die Unversehrtheit der Stars werden rund um die Uhr eine private Sicher- heitsgruppe sowie Polizeieskorten sorgen. Details jedoch gibt kein Offizieller preis. Levi weist darauf hin, dass die Presse, die beim letzten Besuch kaum zu bremsen war, gebeten wird, sich, so weit es geht, von den Besuchern fernzuhalten. Dabei wird das Center nicht müde zu betonen, dass die Kabbala-Anhänger Touristen sind, die dem Land bare Münze einbringen.
Bei aller Geheimhaltung, ein Reiseziel steht fest: Safed, die Stadt der Mystik. Hierher kamen die großen Gelehrten der Kabbala. Und tatsächlich hat sie etwas Verwunschenes, wie sie sich an die Hänge Galiläas schmiegt, und Rabbiner mit wallenden Mänteln durch die alten Gassen huschen. An den Wänden der kleinen, schiefen Häuser laden zahllose Plakate zu Seminaren in Sachen »Mystisches Judentum« ein, versprechen spirituelle Erleuchtung durch Workshops, für die man bar bezahlen muss. Magisches liegt in der Luft, wenn man über das Kopfsteinpflaster wandert und die historischen Synagogen aus dem 16. Jahrhundert besucht. Darunter die des »Löwen Ha’Ari«, Rabbi Isaac Luria, einer der größten Kabbalisten aller Zeiten. Doch Safed ist auch eine Stadt, die im zweiten Libanonkrieg vergangenes Jahr wie kaum eine andere gelitten hat. Wochenlang regneten die Katjuschas auf die 30.000-Seelen-Gemeinde herab. Wie durch ein Wunder blieben fast alle Gotteshäuser unbeschädigt.
Jetzt hoffen die Touristenbehörden und Menschen auf der Straße nach dem spirituellen auf ein wirtschaftliches Wunder. Ein Sprecher der Stadtverwaltung betont, dass »jeder Besucher, der uns positiv gesonnen ist, aufs Herzlichste willkommen geheißen wird«. Freuen, wenn Madonna wiederkommt, würde sich auch Jean Masty, Eigentümer des »Palacio«, einem Hotel in der Altstadt von Safed, das in einem 750 Jahre alten Palast untergebracht ist. Jedes Zimmer ist ein Unikat, eingerichtet mit den feinsten Antiquitäten und einem Blick auf die sanft gerundeten Berge der Umgebung. Die Suiten sind für 250 bis 350 Dollar die Nacht zu haben, außerdem stehen zwei »einfache Zimmer für Nannys oder Reiseführer zur Verfügung«, so das Hotel.
Die uralte Geheimlehre, die im Sohar, dem Buch des Glanzes, niedergeschrieben ist, dürfen eigentlich nur verheiratete jüdische Männer ab 40 studieren. Für alle anderen sei sie zu gefährlich, heißt es. Doch in den verschiedensten Formen zieht sie mehr und mehr Menschen in ihren Bann, ob Juden oder Nichtjuden. Sie alle suchen offenbar jenes Quäntchen Magie, das ihnen der gewöhnliche Weg der Religion nicht gibt. Madonna hat das mal in einem Interview so formuliert: »Im Katholizismus erzählst du einem Priester deine Sünden, der vergibt dir, aber irgendwie klappt das nicht wirklich. Rosch Haschana jedoch ist die Zeit, in der du auf das ganze Jahr zurückblicken und in jeden Bereich schauen kannst, in dem du versagt oder Chaos verursacht hast. Für mich ist das die wirkliche Version von Mitgefühl. Kabbala funktioniert einfach für mich.«