von Benjamin Hammer
Eigentlich wird auf dieser Seite immer nur eine Person porträtiert. Dieser Text über Elena und Olga Bekritskaja macht da im Prinzip keine Ausnahme. Denn die beiden 36jährigen Frauen sind eineiige Zwillinge. Seit ihrer Geburt leben sie zusammen, arbeiten zusammen und – oft reden sie auch gleichzeitig.
Es ist nicht leicht, Elena und Olga auseinanderzuhalten. Beide haben kurze schwarze Haare. Beide tragen ein schwarzes Oberteil und den gleichen Rock – die Modedesignerinnen schneidern ihre Kleidung selbst. Nur die Farben der Brillen sind verschieden.
Auf fast jede Frage antworten die beiden Schwestern im Kollektiv. Die eine beginnt den Satz, die andere beendet ihn. Oft wird es dann sehr laut im Raum. Im Eifer des Gefechts versuchen sich die Zwillinge zu übertönen. Aber: es funktioniert.
Als Elena und Olga Bekritskaja im September 1997 nach Deutschland kommen, sprechen sie kein Wort Deutsch und haben nur einen Rucksack dabei. Der Inhalt: Bücher über Kunstgeschichte und eine Nähmaschine. Ihr Ziel: sich als Modedesignerinnen in Deutschland zu etablieren. Im Laufe der Zeit haben sie es geschafft. Jedes Jahr präsentieren sie ihre Kollektion auf der wichtigsten Modemesse der Welt, der Prêt-à-Porter in Paris. Dieser Tage eröffnen die Zwillinge ihr neues Modeatelier in Köln. »Geschäftlich läuft es gut«, sagt Elena.
Die Geschichte der Bekritskajas beginnt 1969 in einer Plattenbausiedlung in Moskau. Das Zwillingspaar wächst gemeinsam auf und ist unzertrennlich. Von klein auf wird den beiden vermittelt: Ihr seid Juden. Die Großmutter kocht Gefillte Fisch und backt Mazzot. Als sie größer sind, versammeln sich die Schwestern manchmal an Pessach mit anderen jüdischen Jugendlichen zu Protesten vor der Synagoge. Dennoch: Antisemitismus, sagen beide, sei ihnen in Rußland kaum begegnet. Ihre älte- re Schwester hingegen wurde häufig angepöbelt. »Die Leute haben gemerkt, daß wir Juden sind«, sagt Olga.
Die Eltern legen Wert auf eine gute Bildung. Der Vater ist Architekt, die Mutter Textilingenieurin. Weil Elena und Olga alles gemeinsam machen, bewerben sie sich nach dem Abitur auch gemeinsam an der Moskauer Hochschule für Textildesign. In der gesamten Sowjetunion gibt es nur zwei solcher Schulen. Auf 20 Plätze kommen 500 Bewerber. Aber Elena und Olga bestehen die Aufnahmeprüfung. Ob es damals zwischen ihnen Konkurrenzdenken gab? »Nööö«, antworten beide energisch. Beim Aufnahmetest habe man sich sogar geholfen, gesteht Olga. Bei einer Porträtzeichnung tauschten die Schwestern heimlich die Skizzen aus. Elena malte die Augen auf Olgas Zeichnung, Olga malte die Wangen für ihre Schwester. Keiner bemerkte es.
»Nichts ist unmöglich«, sagt Elena Bekritskaja. Das ist wohl die Lebenseinstellung der beiden Schwestern. Mit diesem Motto und ihrem Arbeitseifer schaffen sie es in den 90er Jahren an viele Moskauer Theater und entwerfen Kostüme und das Bühnenbild. Ihr Studium beenden sie 1995. Die folgenden zwei Jahre arbeiten sie weiter am Theater, es geht ihnen gut. Doch dann erzählen Freunde von einem Studiengang der berühmten Modedesignerin Vivienne Westwood in Berlin – ein Traum für Elena und Olga. Die beiden wagen es und gehen nach Deutschland.
Beinahe hätte die Geschichte hier aufgehört. Denn Elena und Olga verpassen die Bewerbungsfrist für den Studiengang bei Vivienne Westwood. »Keine Chance«, sagt ein Mitarbeiter der bekannten Designerin, als die Schwestern sich mit drei Monaten Verspätung anmelden wollen. Aber sie sind hartnäckig. Sie fahren nach Berlin und zeigen dem Mitarbeiter ihre Arbeitsmappen. Wenig später bekommen sie die Zusage: Sie dürfen bei Vivienne Westwood studieren. Während des Studiums pendeln sie zwischen Köln und Berlin. Natürlich sei Berlin spannender als Köln, sagt Olga. »Da gibt es viel mehr Ähnlichkeiten zu Moskau.« Aber in Köln könne man mehr verkaufen, es gebe Unterstützung von der Handelskammer. Und: Es ist näher an der Modestadt Paris.
Daß die Zwillinge so eng zusammen- arbeiten, ist wohl ihr Erfolgsrezept. In der Praxis heißt das etwa: Elena macht die Skizzen, Olga die Schnitte. »Jede tut das, was sie am besten kann«, sagt Olga. Heute können sich die beiden mit ihrer Arbeit finanzieren. Doch der Anfang war hart. Gespräche mit Behörden und Versicherungen konnten die beiden nur mit einem Übersetzer führen. Dann bekamen sie Hilfe vom Kölner Integrationsverein Phoenix und machten sich selbständig. Ihre Stärke, sagen sie, sei die Improvisation. »In Rußland haben wir aus Schrott die tollsten Sachen gemacht. Dort haben wir gelernt, querzudenken.« Das zeige sich auch bei den Kreationen. »Wir machen Mode mit starken Einflüssen aus der Theaterwelt.« Noch nehmen sie auch fremde Aufträge an. Dann schneidern sie schon mal das Maskottchen eines Schokoladenherstellers. Doch bald wollen sie nur noch ihre eigenen Sachen machen, sagt Olga. Und irgendwann wollen sie nach London ziehen. Ob sie eines Tages zu den großen Modedesignern der Welt gehören wollen? »Das muß nicht sein«, sagt Elena, »hier geht es doch um uns und nicht den ganzen Ruhm da draußen.«
Die beiden Schwestern wohnen zusammen mit Olgas Mann und ihrer Tochter, der siebenjährigen Anna. Ist das nicht manchmal schwierig? »Es ist nicht immer bequem«, antwortet Elena. Mehr will sie dazu nicht sagen. »Wir kümmern uns gemeinsam um Anna«, sagt Olga. Mit »wir« meint sie sich selbst, ihren Mann und Elena.
Für Olga und Elena ist es nicht leicht, Zeit für Anna zu finden. Oft sind die Tage mit Arbeit ausgefüllt. Ab 10 Uhr vormittags sitzen die beiden Schwestern im Atelier. Ein normaler Arbeitstag dauert mitunter bis ein Uhr nachts. Die Bekritskajas legen viel Wert auf Annas Bildung. »In Deutschland lernen die Kinder viel zu spät lesen und schreiben«, sagt Olga. In Rußland würden die Kinder schon mit fünf Jahren anfangen zu lesen. Anna hat neben der Grundschule eine Menge Zusatzunterricht. Russisch, Englisch, Theater, Tanzen. Olga erzählt ihrer Tochter auch viel über das Judentum. »Sie soll wissen, daß sie jüdisch ist und das nicht zu verstecken braucht.«
Die meisten von Olga und Elenas Freunden stammen aus Rußland. »Die Deutschen«, sagt Elena, »sind sehr höflich, aber manchmal zu distanziert«. Nach Rußland fahren die Schwestern nur selten. »Meine Heimat ist bei mir«, sagt Elena, »ich habe Rußland mitgenommen.« Olga nickt.