»Wir haben ein Zeichen gesetzt«
Wolfgang Böhmer über den Umgang mit Rechtsextremisten
Herr Ministerpräsident, am vergangenen Donnerstag haben Sie in Schönebeck öffentlich aus dem »Tagebuch der Anne Frank« gelesen, nachdem im benachbarten Pretzien ein Exemplar des Buchs bei einer »Sonnenwendfeier« verbrannt worden war (vgl. S. 8). Sind Sie zufrieden?
böhmer: Es war eine sehr emotionale Veranstaltung, die alle Beteiligten nachdenklich gemacht hat. Zwar sind die Schüler, vermutlich unter dem beklemmenden Eindruck der Lesung und eines Films, nicht wie von mir erhofft in eine Diskussion eingestiegen, aber über das Thema wird sicher im Unterricht weiter gesprochen werden. Wir haben ein Zeichen gesetzt, und darauf kam es an.
Der Zentralrat der Juden und andere Gruppen haben die Lesung in Pretzien als Alibi-Veranstaltung scharf kritisiert ...
böhmer: Es ist jedem selbst überlassen, von Berlin oder anderswo aus eine Veranstaltung zu kritisieren, an der er nicht teilgenommen hat. Ich werde diese Kritik nicht kommentieren. Wer die Schüler erlebt hat, würde jedenfalls nicht von einer Alibi-Veranstaltung reden.
Mit Verlaub: Es waren keine jüdischen Vertreter zu der Lesung eingeladen, dafür der US-Generalkonsul Mark D. Scheland.
böhmer: In Pretzien wurde ja neben dem Tagebuch der Anne Frank keine israelische Flagge verbrannt, sondern eine amerikanische. Wir haben übrigens den Direktor des Anne-Frank-Zentrums eingeladen, und der ist auch gekommen.
Können symbolische Veranstaltungen im Kampf gegen Rechts etwas bewirken?
böhmer: Ich erhoffe mir vor allem, daß wir ein Zeichen gesetzt haben. Das ist wichtig in einer Region, von der ein bestimmtes Bild gezeichnet worden ist, das nicht typisch ist für die Mehrheit der dort lebenden Menschen.
Wenn bei einem öffentlichen Dorffest das Tagebuch der Anne Frank verbrannt wird, ohne daß jemand eingreift, ist das für Sie also ein Minderheiten-Phänomen?
böhmer: Es ist ein Beweis dafür, daß wir die Verfänglichkeit dieser rechten Ideologien verdeutlichen müssen. Denn es zeigt, daß es die rechten Ideologen immer besser verstehen, sich zu maskieren.
Oder es zeigt, daß rechte Ideologie immer weiter in die Mitte einsickert und dort von vielen geteilt wird ...
böhmer: Für eine solche Vermutung gibt es einige Indizien.
Mit dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt sprach Tobias Kaufmann.