Meinung

Wir fühlen mit euch

In schwieriger Zeit treffen sich junge Jüdinnen und Juden in Berlin. Unser Autor möchte ihnen Mut machen

von Joshua Schultheis  29.02.2024 16:09 Uhr

Seid kreativ, liebe Yudaya-jin! Foto: Charlotte Bolwin

In schwieriger Zeit treffen sich junge Jüdinnen und Juden in Berlin. Unser Autor möchte ihnen Mut machen

von Joshua Schultheis  29.02.2024 16:09 Uhr

Ihr habt gerade eine schwere Zeit. »Schwer« ist ein Euphemismus. Besser: beschissen. Ihr seid wütend, wie nie zuvor in eurem Leben. Ihr seid enttäuscht. Von Linken, die sagen, sie seien gegen Antisemitismus, aber keine Worte finden für das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023. Von Muslimen, die an diesem Tag Süßigkeiten verteilten, für die Terror ein Grund zum Feiern ist.

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Von euren Kommilitonen, die Israel vernichtet sehen wollen und euch das Gefühl geben, an eurer Uni nicht willkommen zu sein. Vom ganzen Rest, der gerade zeigt, dass er sehr wohl demonstrieren gehen kann, nur nicht dann, wenn ein Molotowcocktail auf eine Synagoge fliegt.

Ihr, die jungen Jüdinnen und Juden in Deutschland, habt gerade eine beschissene Zeit. Dieser Text, den man einen Brief nennen kann, ist euch gewidmet. Er soll Trost spenden und vielleicht ein bisschen Mut machen. Geschrieben ist er von einem, der nicht alt ist, wie es dem Genre angemessener wäre, dessen Enttäuschungen aber nicht so neu sind wie eure. Ich fühle mit euch, aber bin nicht mehr bitter. Das stimmt nicht ganz: Etwas bitter bin ich doch noch. Das Entscheidende ist, ich fühle mit euch.

Junge Jüdinnen und Juden, die abgeschlachtet werden sollten

Ich habe mit euch gefühlt, als ihr am 7. Oktober zum Handy gegriffen habt und in einen Abgrund blicken musstet. Nach den verstörenden Bildern aus Israel kamen die verstörenden Kommentare der Künstler, denen ihr auf Social Media folgt, der Intellektuellen, deren Urteil ihr bis dahin geschätzt, und der Bekannten, in denen ihr euch offenbar getäuscht hattet. Sie sprachen von »Widerstand«, während die Toten noch nicht gezählt waren. Sie sahen »Gerechtigkeit« in den Aufnahmen von Israelis, die in der Wüste fliehen mussten. Was ihr saht, waren junge Jüdinnen und Juden wie ihr, die abgeschlachtet werden sollten.

Ich habe mit euch gefühlt, als eure Freundschaften zerbrachen. Menschen, von denen ihr glaubtet, sie seien euch nahe, haben euch in diesen Tagen nie gefragt, wie es euch geht. Stattdessen offenbarten sie ihren Hass auf Israel. Warum haben sie nicht das Gespräch mit euch gesucht? Warum haben sie sich nie über den horrenden Antisemitismus in Deutschland empört? In Abscheu habt ihr euch von ihnen abgewandt. Freunde zu verlieren, schmerzt. Ihr habt es nicht oft genug gehört, deswegen sage ich es noch einmal: Euer Verlust tut mir sehr leid!

Es schmerzt, Freunde zu verlieren, weil sie ihren Hass auf Israel offenbaren.

Ich habe mit euch gefühlt, als andere Bilder diejenigen vom 7. Oktober verdrängten. Als immer weniger über die Geiseln gesprochen wurde, deren Namen ihr mittlerweile kennt. Ihr weint, wenn sie freikommen, und ihr weint, wenn ihr Tod bekannt wird. Für euch ist die Zeit am »Schwarzen Schabbat« stehen geblieben. Doch die Uhren laufen weiter. Für die Menschen in Gaza in einem schrecklichen Takt. Juden und Palästinenser sind nicht nur Nachbarn im Land vom Jordan bis zum Mittelmeer, sie sind es auch in deutschen Städten. Hier wie dort gilt: Zu einem Zusammenleben gibt es keine Alternative. Lasst uns das nicht vergessen!

Es gibt solche, die eure Wut ausnutzen möchten. Hetzer wollen in eurem Namen hetzen. Lasst sie nicht! Wenn die Hetzer Israel mögen, dann aus den falschen Gründen. Wenn sie sagen, Freunde der Juden zu sein, kreuzen sie die Finger hinter dem Rücken. Sie sagen, der Nationalsozialismus sei nur ein »Vogelschiss«. Ihre Vorfahren, behaupten sie, waren keine Verbrecher. Auf ihren Wanderungen reden sie wieder über Ghettos für Juden, und auf ihre Transparente schreiben sie »Gestern Dresden – heute Gaza«. Von links wird ihnen assistiert: »Free Palestine from German guilt«.

Nie habt ihr Ruhe

Nie habt ihr Ruhe. Einige von euch waren vor viereinhalb Jahren in der Synagoge, die ein Judenhasser stürmen wollte. Für alle von euch wurde »Halle« zur Zäsur. Nur wenig später ließ ein bis dahin unbekanntes Virus altbekannten Antisemitismus grassieren. Ungeimpfte erklärten euch, sie seien die neuen Juden. Nie habt ihr Ruhe. Seit zwei (eigentlich zehn) Jahren wird ein Land zerstört, das für viele von euch Heimat ist. Sein jüdischer Präsident wird von den Angreifern mit Hitler verglichen. Die Juden seien die neuen Nazis: Auf der ganzen Welt, scheint es, kann man sich mittlerweile darauf einigen.

Hannah Arendt sagte einmal, vor Antisemitismus sei man nur noch auf dem Mond sicher. Seit Elon Musk eine Rakete dorthin fliegen ließ, gilt womöglich nicht einmal mehr das.

Ihr macht, was ihr immer macht: Ihr wehrt euch.

Aber ihr macht, was ihr immer macht: Ihr wehrt euch. Ihr organisiert Demos gegen Antisemitismus, klebt Plakate mit den Gesichtern der Entführten, gründet neue Gruppen, schreibt Texte, gebt Contra. Euch ist nicht danach, eure Wohnung zu verlassen. Ihr tut es trotzdem. Um Menschen zu treffen, die sich als echte Freunde erwiesen haben. Um in die Uni zu gehen, weil ihr euch diesen Ort nicht nehmen lassen wollt. Um Feiertage zu feiern. Um wieder zu tanzen.

Ihr habt gelernt, was junge Juden oft lernen müssen. Dass es immer noch schlimmer kommen kann. Dass man krank vor Wut und Sorge sein kann. Dass man sich besonders jüdisch fühlt, wenn das Jüdischsein besonders gefährlich wird. Dass man in verständnislose Augen blickt, wenn man von Antisemitismus spricht. Dass manchmal nur andere Juden verstehen, was ihr meint.

Ihr habt in den vergangenen Monaten die Gemeinschaft neu schätzen gelernt. Zusammen hält man vieles besser aus. Ihr seid klüger, stärker, entschlossener geworden.

Der Autor ist Journalist und lebt in Berlin.

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