Frau Moneta, im hessischen Wahlkampf spielt das Thema Gewalt vornehmlich von Jugendlichen mit Migrationshintergrund eine entscheidende Rolle. Auch die jüdische Gemeinde hat einen hohen Anteil an Migranten. Ist Gewalt bei Ihnen ein Thema?
moneta: Nein, bei uns ist es kaum ein Thema. Ein Fall eines gewalttägiten Jugendlichen ist im Moment aktuell. Bei 50 Prozent Neueinwandereranteil können wir wohl sagen, dass wir die Integration gut hinbekommen haben.
Das Taktieren des Ministerpräsidenten Roland Koch richtet sich stark gegen Migranten. Wie nehmen Sie das in der Gemeinde wahr? Fühlen sich Ihre Mitglieder dadurch auch in Misskredit gebracht?
moneta: Ganz sicher schafft es Angst vor jugendlichen Straftätern, auch wenn sie ihnen bislang nicht begegnet sind. Und es macht Angst vor Ressentiments gegen Ausländer, das entsolidarisiert. Weil viele sagen: »Gäbe es die anderen nicht, würden wir nicht mit angegriffen werden.« Und das ist nicht richtig, diese Ressentiments können auch sie treffen. Wenn man Zuwanderer fragt, ob ihnen Gewalt durch Jugendliche schon einmal begegnet ist, erzählen sie, dass die Jugendlichen laut sind oder sich ungebührlich verhalten. Für die Alten ist es schwer zu ertragen, dass die Kinder so sehr viel mehr dürfen.
Woran liegt es, dass die jüdische Gemeinde von dieser Jugendkriminalität nicht so betroffen ist?
moneta: Das liegt sicherlich auch an einem etwas höheren Bildungsniveau, das möchte ich nicht leugnen. Der Anteil der bürgerlich Gebildeten und Anpassungsfähigen ist relativ hoch. Man darf aber auch nicht vergessen, dass viele Zuwanderer aus Regionen wie Georgien, Aserbaidschan kommen, in denen die familiären Strukturen äußerst patriarchalisch sind. Diesen Zuwanderern machen wir sehr deutlich klar, wie die Bedingungen hier sind und dass es Menschenrechte gibt, hinter denen wir stehen und die wir für unabdingbar halten. Die Basis dafür ist natürlich Vertrauen und das Gefühl, willkommen zu sein.
Sind das die Gründe, warum Gewalt hier kaum vorkommt?
moneta: Gewalt hat auch keine so große Tradition bei uns. Wobei sicherlich auch Gewalt in Familien vorkommt, was auch immer die Bedingung dafür sein können, dass Kinder gewalttätig werden. Wenn man ihnen sagt: »Ihr seid hier willkommen« und ihnen klar macht, dass wir ihre Erwartungen verstehen. Wir wissen, dass die Zuwanderer weniger aus religiösen Gründen gekommen sind, sondern um hier bessere soziale Bedingungen vorzufinden. Zwar vertreten wir eine Religionsgemeinschaft, aber wir sind auch ein Volk, zu dem sie gehören. Das vermitteln wir ihnen. Und so gewinnen wir ihr Vertrauen, weil wir nicht sofort urteilen und verurteilen.
Ist das einer der Gründe, warum soziale Probleme schneller aufgefangen werden können?
moneta: Man muss auch sagen, dass wir hier in Frankfurt sehr gute Bedingungen haben. Wir haben einen Gemeindevorstand, der uns von Anfang an gefördert hat. Ich habe in Professor Leo Latasch einen Dezernenten, der uns immer in unserer Arbeit unterstützt hat. Wir leben in einer Stadt mit einem hohen Migrantenanteil. Frankfurt setzt sich seit Jahren mit diesem hohen Migrantenanteil auseinander und vermittelt die Erfahrung, dass man einerseits die Arme für Zuwanderer ausbreiten muss und andererseits Grenzen setzen sollte. Die Haltung einer Stadt färbt auch auf Gemeinden ab. Und wir haben den Vorteil, dass wir nur 50 Prozent Neuimmigranten haben. Unsere Mitglieder fallen nicht großartig auf oder werden straffällig. Es kommt vor, aber es ist nicht das vordringliche Problem.
Mit wem können Sie zusammenarbeiten, wenn es doch Probleme gibt?
moneta: Wenn es um Probleme bei Kindern und Jugendlichen geht, ist das Jugendamt unser Ansprechpartner. Wir arbeiten mit Familienberatungsstellen und eng mit den Eltern zusammen. Wir achten sehr darauf, dass die Jugendämter aktiv werden und dass ihre Mitarbeiter im Umgang mit Zuwanderern kompetent sind. Dass nicht etwa jemand kommt und fragt: »Was sucht ihr hier, warum seid ihr überhaupt nach Deutschland gekommen?«, sondern der sich die Familie anschaut und sie und ihre Kinder unterstützt. Das ist nicht immer einfach und das gelingt auch nicht immer so schnell, wie wir das möchten. Es erfordert eine Menge Geduld und immer wieder vertrauensbildende Maßnahmen.
Sie haben mehrere Jahre Erfahrung in der jüdischen Sozialarbeit, stellen Sie eine Verschiebung der Probleme fest?
moneta: Ja, durch Hartz IV. Zunächst fand ich den Leitspruch »fördern und fordern« gut. Aber wir spüren alle eine größere soziale Kälte. Die Menschen wollen arbeiten. Wir haben sehr viel Qualifizierte, vor allem auch Frauen, die sehr gut Deutsch sprechen und wirklich eine Arbeit suchen, von der sie auch leben können. Die Qualifikation der Leute wird zu wenig als Ressource betrachtet. Der Jobberater kann mit einem sozial deklassierten Trinker mehr anfangen als mit einer gut gekleideten Frau, die die deutsche Sprache beherrscht. Ich wünsche mir, dass man in der Ausbildung die Berater mehr dazu befähigt, auf gleicher Augenhöhe zu kommunizieren. Es gehört zur jüdischen Tradition, dass man den Bedürftigen nicht demütigt.
Mit der Leiterin der Sozialabteilung sprachen Katrin Richter und Heide Sobotka.