»Wir brauchen gemeinsame Werte«
Andreas Nachama über den
Ethik-Unterricht an Berliner Schulen
Herr Rabbiner, der Berliner Senat hat in der vergangenen Woche die Einführung des umstrittenen Ethik-Unterrichts beschlossen. Berlin geht mit dem bekenntnisfreien Fach einen bundesweit einmaligen Weg. Ist es der richtige?
nachama: Berlin ist immer einen Sonderweg gegangen. Auch der bisherige Religionsunterricht beruhte auf der Freiwilligkeit der Teilnahme.
Der Ethik-Unterricht soll von der 7. Klasse an verbindlich sein. Das heißt auch für jüdische Schüler, daß die Wahl zwischen Ethik- und Religionsunterricht entfällt.
nachama: Mit Ausnahme der Jüdischen Oberschule hat es meines Wissens in der Berliner Oberstufe schon seit Jahren keinen jüdischen Religionsunterricht mehr gegeben.
Sie sind also für den Ethik-Unterricht?
nachama: In der Zeit, als ich noch Gemeindevorsitzender war, habe ich eher auf seiten der Kirchen protestiert. Wenn man aber sieht, welche eklatanten Wertedefizite in dieser Gesellschaft inzwischen auftreten, dann denke ich schon, daß der Staat in der Verantwortung ist, für alle Berliner Schüler etwas anzubieten. Und ich hoffe, daß das weltanschaulich so neutral sein wird, daß alle Beteiligten damit leben können.
Schulsenator Klaus Böger (SPD) betonte, in Berlin sei es wegen der vielen Kulturen und Weltanschauungen erforderlich, daß Schüler sich in einem gemeinsamen Unterricht mit Werten auseinandersetzten.
nachama: Die Diskussion, die im Augenblick über die Mohammed-Karikaturen geführt wird, zeigt doch, wie dünn die Brücke der Toleranz ist. Und wo verschiedene Kulturen miteinander leben, muß man gemeinsame Werte haben, vollkommen unabhängig von der Frage, woran man selber glaubt.
Die Kirchen sollen sich in die Gestaltung des neuen Fachs einbringen. Sollten auch jüdische Werte berücksichtigt werden?
nachama: Es war bisher auch so, daß eine ganze Reihe von protestantischen Religionslehrern Menschen aus der jüdischen Gemeinde eingeladen hat, um jüdisch-religiöse Werte im Unterricht zu vermitteln. Wir leben nun in einer Zeit, in der Zeitzeugen der Schoa in immer geringerer Zahl zur Verfügung stehen. Aber vielleicht liegt darin auch eine Chance, daß sich die jüdische Gemeinde mit einem neuen Thema – mit der jüdischen Sicht der Werte und der Toleranz – einbringt. Nicht nur da, wo jüdische Schüler sind. Wir bleiben aufgefordert, aufeinander zuzugehen.
Mit dem ehemaligen Berliner Gemeindevorsitzenden sprach Detlef David Kauschke