von Miryam Gümbel
Am Jakobsplatz wird mit Nachdruck gearbeitet. Inzwischen nehmen auch die Innenräume des Gemeindezentrums Gestalt an. Im künftigen Büro der Präsidentin ist bereits der Fußboden verlegt. Der Tag der Einweihung der Synagoge am 9. November rückt immer näher.
Natürlich kann an diesem Tag nur eine beschränkte Zahl von Ehrengästen der Feier beiwohnen. Aber ebenso wie vor drei Jahren nach der Grundsteinlegung sollen die Münchner kurz darauf Gelegenheit haben, das zu besichtigen, was hinter dem Bauzaun beim Münchner Stadtmuseum Tag um Tag wächst.
Mit der Planung und Vorbereitung ist dabei Ellen Presser engagiert. Für die Leiterin des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde ist das zwar eine besonders große Herausforderung. Die Thematik an sich, das Offensein für alle Münchner und das Miteinander sind ihr nicht fremd. Schließlich war dieses Miteinander Leitlinie und Auftrag für ihre Arbeit, seit sie vor über 23 Jahren ihre Arbeit im Jugend- und Kulturzentrum in der Prinzregentenstraße begann.
Freude und Wehmut mischen sich bei ihr mit Blick auf den erneuten Umzug. Denn es ist nicht einfach nur ein Wechsel in neue, größere Räume mit weitaus mehr Möglichkeiten. Es ist auch ein Abschied – von einem liebgewordenen, heimeligen Gartenhaus und von einer Epoche jüdischer Geschichte in München.
Die Präsidentin der Gemeinde, Charlotte Knobloch, hatte bei der Grundsteinlegung 2003 gesagt, mit diesem Ereignis sei sie endlich in München angekommen. Ihre Geburtsstadt sei endgültig wieder ihre Heimatstadt geworden. Dieser Satz kennzeichnet die Zäsur in der jüdischen Nachkriegsgeschichte, die sich langsam, unauffällig und etappenweise vollzogen hat. Das Heraustreten aus dem immer wieder zitierten Hinterhof in die Mitte der Stadt München hat diesen Prozeß zu einem bestimmten Abschluß gebracht.
Das Jugend- und Kulturzentrum an der Prinzregentenstraße besitzt einen Charme, der einem die Bezeichnung »Hinterhof« fast im Halse steckenbleiben läßt. Dennoch ist ein Umzug nicht nur wünschenswert, sondern aufgrund der vielfältigen Aufgaben notwendig und eine große Chance. Der Zeitpunkt und die Entwicklung bis dahin erlauben gleichzeitig einen Rückblick. Ja sie fordern diesen geradezu heraus – und bieten damit zugleich ein besseres Verständnis für den Stellenwert jüdischen Lebens im München von heute.
Wenn in der neuen Synagoge ein eigener Synagogenchor singt, wenn die Gemeinde aus ihren Reihen und denen befreundeter Musiker ihr eigenes Orchester Jakobsplatz aufbauen konnte, wenn bei Veranstaltungen Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft an beachteter und exponierter Stelle stehen, so ist das ein Ergebnis jahrzehntelanger Entwicklung und Aufbauarbeit, die unter anderem auch in der kleinen Gartenvilla in der Nähe des Prinzregentenplatzes geleistet wurde.
In den ersten Nachkriegsjahren war Jugendarbeit mehr Freizeitgestaltung für die Kinder der Schoa-Überlebenden. Religiöse Traditionen bekamen die Kinder damals in den Familien und im Jugendzentrum mit. Dieses wurde bis 1982 als »Maon Hanoar«, als Heim der jüdischen Jugend, geführt.
Erst mit der Renovierung des Hauses 1982/83 hat sich sein Auftrag geändert. Seither leitet Ellen Presser das Kulturzentrum. »Das Miteinander ist Leitlinie und Auftrag«, sagt sie. Dieser Anspruch sei damals völlig neu aufgefächert worden. Ein Grund dafür war, daß sich in der nichtjüdischen Umwelt langsam ein neues und unbefangenes Interesse an jüdischem Leben und an jüdischen Themen entwickelt hatte. »Darauf mußte eine Antwort gefunden werden«, sagt Ellen Presser. So entstanden die Jüdische Volkshochschule, das Offene Kulturprogramm und eine zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit.
Ein weiterer neuer Arbeitsabschnitt kam mit den Zuwanderern aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Diese mußten in die deutsche Umgebung integriert und in die jüdische Welt eingeführt werden. Heute haben sich diese Aufgaben auf mehrere Einrichtungen verteilt, vor allem die Integrationsabteilung unter Olga Albrandt. Für manche Veranstaltungen ist jedoch die Zusammenarbeit mit dem Kulturzentrum geblieben, zum Beispiel am 26. September ein Gedenkabend für die Opfer von Babij Jar und am 17. Oktober eine Aufführung des Jüdischen Theaters »Mechaje« mit deutscher Simultanübersetzung.
An welche Veranstaltungen erinnert sich Ellen Presser ganz besonders? Zum Beispiel an einen Auftritt des Liedermachers Wolf Biermann. Viele Menschen hätten sie damals nach dem Warum dieser Einladung gefragt. Daß Biermanns Vater als Kommunist in Auschwitz ermordet worden war, war einigen bekannt; daß er auch Jude war, wußte damals kaum einer.
Stefan Heym kam zu einer seiner ersten Lesungen im Westen ins Kulturzentrum. Es war nicht das erste Mal, daß der kleine Kellersaal der Gartenvilla nicht ausreichte. Die Zuhörer saßen bei offener Tür auch auf den Stufen des Treppenhauses.
Größere Räume wurden nötig. Neben dem Gemeindesaal war eine Kooperation mit dem Gasteig eine der möglichen Alternativen. Mit der dort beheimateten Stadtbibliothek und der Münchner Volkshochschule hatte sich längst auch eine inhaltliche Zusammenarbeit entwickelt. Den Auftakt bildete 1990 anläßlich des 100. Geburtstages von Kurt Tucholsky eine Aus- stellung in Zusammenarbeit mit der Leiterin des Veranstaltungsbereiches der Stadtbibliothek, Sabine Kinder. Ganz aktuell ist derzeit die Benefiz-Reihe »Jüdische Le- benswelten« zugunsten des Gemeindezentrums am Jakobsplatz, die das Kulturzentrum der IKG zusammen mit dem Gasteig sowie der Volkshochschule der Stadt München und deren Programmdirektorin Susanne May veranstaltet. Die letzte Veranstaltung in dieser Reihe findet am 22. Oktober anläßlich des 100. Geburtstags von Hannah Arendt statt.
Und noch etwas freut Ellen Presser besonders: Stefan Troller war bereits vier- mal Gast des Kulturzentrums. Er sei ein langjähriger und treuer Freund. Gerührt sei sie von einem Schreiben des Schriftstellers, adressiert an »das jüdische Allerlei«. Genau das treffe die Arbeit des Kulturzentrums, meint sie. »Wir haben von allem etwas im Programm.«
Diese breit gefächerte Vielfalt von Kulturarbeit möchte Ellen Presser ab dem kommenden Frühjahr auch im neuen Gemeindezentrum fortführen. Neben der weiteren Unterstützung durch ihre Mitarbeiter-Crew und seitens der Gemeinde werden besonders die großzügigen Räumlichkeiten im neuen Haus dafür weitere Möglichkeiten eröffnen.