von Jessica Jacobi
Der junge Regisseur Robert Thalheim gehört seit seinem Erstling Netto zu den Hoffnungsträgern des deutschen Kinos. Jetzt kommt sein zweiter Spielfilm Am Ende kommen Touristen, der im Frühjahr auf dem Festival von Cannes präsentiert wurde, in die Kinos.
Sven (Alexander Fehling) aus Berlin steigt in Oswiecim aus dem Zug und macht sich auf den Weg zur Gedenkstätte Auschwitz. Dort wird er seinen Zivildienst ableisten. War nicht seine erste Wahl, dieser Ort, aber was soll’s. Der junge Deutsche soll sich vor allem um den nicht mehr ganz rüstigen Überlebenden Krzeminski (Ryszard Ronczewski) kümmern. Der ehemalige politische Häftling wohnt im Gästehaus der ehemaligen SS-Kommandatur, wo er die übrig gebliebenen Koffer der vergasten Juden restauriert. Der alte Pole ist alles andere als begeistert von dem jungen Deutschen und schikaniert ihn, wo es geht. Entsprechend mürrisch versieht Sven seinen Dienst. Privat läuft’s besser: Er verliebt sich in seine Vermieterin, die hübsche Dolmetscherin Ania (Barbara Wysocka). Die will weg aus Auschwitz, nach Brüssel, um dort EU-Karriere zu machen.
Peu à peu beginnt Sven – und mit ihm der Zuschauer – immer mehr von seiner Umgebung zu verstehen. Den Bedeutungsverlust, den der grantige Krzeminski hinnehmen muss, der nicht versteht, wieso die Koffer plötzlich konserviert und nicht repariert werden sollen; Anias Sehnsucht nach Zukunft in der Schaltstelle Europas, statt im Schatten der Vergangenheit ihren verpennten Bruder ewig durchzuschleppen; die Feigheit des Begegnungsstättenleiters (Piotr Rogucki), der nichts mehr fürchtet als schlechte PR; die Verlogenheit der Geschäftsführerin eines deutschen Chemiewerkes in Oswiecim (Lena Stolze), die den Überlebenden Krzeminski rüde abwürgt, als der seine Erinnerungen erzählt. Doch je mehr der junge Mann versteht und sich engagiert, desto mehr gerät er zwischen alle Stühle. Frustriert packt er schließlich seine Sachen und fährt zum Bahnhof. Doch dort kommt ihm eine Gruppe Touristen entgegen, die er dann doch zur Gedenkstätte begleitet ...
Robert Thalheim, der seine eigenen Erfahrungen als Zivildienstleistender der Aktion Sühnezeichen in Auschwitz verarbeitet, fächert unspektakulär, aber präzise die Widersprüche zwischen dem Erinne-rungsbetrieb einer KZ-Gedenkstätte und dem Alltag der umgebenden Provinzstadt auf. Wir, die Zuschauer, erleben sie durch den Blick des unbedarften Zivis Sven. Der Regisseur vermeidet dabei Melodramatik ebenso wie abgegriffene Bilder. Das macht die Stärke und Authentizität dieses Films aus. Emotionen werden von den Figuren eher indirekt zum Ausdruck gebracht, der nüchterne, dokumentarische Stil erinnert an Rex Bloomsteins eindringliche Dokumentation KZ über die Gedenkstätte Mauthausen (vgl. Jüdische Allgemeine vom 1. Februar, S. 10).
Noch etwas verbindet beide Filme: die Abwesenheit jüdischer Protagonisten. Ju-
den tauchen nur als Besucher auf, die titelgebenden Touristen. Ausgerechnet
Auschwitz, dessen Name wie kein anderes für die Schoa steht, ist heute zu einer rein deutsch-polnischen Verwaltungsangelegenheit geworden. Das Klischee »Ironie der Geschichte« – hier passt es wirklich mal.