von Bruno Schirra
Die erste palästinensische Parlamentswahl seit zehn Jahren war eine durch und durch demokratische. Ohne Druck, ohne Behinderungen oder gar Zwang, ohne die ansonsten in arabisch-muslimischen Ländern von diktatorischen Regimes so gern praktizierte massenhafte Wahlfälschung. Die Begeisterung darüber bleibt westlichen Politikern jedoch im Halse stecken. Was eine gute Nachricht scheint, kann schlechter nicht sein. Hat doch ausgerechnet die Terrororganisation der radikal-islamischen Hamas einen fulminanten Wahlsieg eingefahren. In freier, in geheimer und in absolut demokratischer Wahl. Das palästinensische Volk, so scheint es, läßt keine gute Gelegenheit an sich vorüberziehen, ohne sie in ihr Gegenteil zu verwandeln. Nun ist das politische Koordinatensystem westlicher Nahostexperten zusammengebrochen. Und die Ratlosigkeit europäischer Politiker in den Regierungsstuben von Berlin, Paris, London und Brüssel ist groß.
Zu allem Überfluß treibt seit einem halben Jahr ein anderer Überraschungssieger dieselben Nahostexperten und Politiker in die Ratlosigkeit und in zunehmend hilfloses Lavieren. In nicht ganz lupenreiner, aber dennoch vergleichsweise demokratischer Wahl hat Machmud Achmadine-dschad einen ebenso fulminanten Wahlsieg errungen wie die Hamasführer. Für die gibt es nur zwei Ziele, allen moderaten Slogans, die sie im Wahlkampf in westliche Kameras und Mikrophone gesprochen haben, zum Trotz: die Vernichtung Israels und die Errichtung eines islamistischen Staates Palästina. Vom Meer bis zum Fluß.
In Teheran ist die Freude groß. Nicht nur bei dem Vernichtungsprediger Achmadinedschad, sondern auch bei all jenen, die hierzulande als Pragmatiker oder als »gemäßigt« bezeichnet werden, wie der frühere Staatspräsident Ali Haschemi Rafsandschani. Der Ruf nach der Vernichtung Israels eint alle Fraktionen des iranischen Gottesstaats.
Der Iran unterstützt seit Jahren schon islamistische Terrorgruppen wie die Hamas, den Palästinensischen Islamischen Dschihad, das Volkswiderstandskomitee. Islamistische Terroristen aus den Palästinensergebieten werden in iranischen Terrorcamps von Offizieren der Revolutio-
nären Garden und deren Geheimdienst ausgebildet. Ihr Auftrag: Kampf gegen den jüdischen Staat bis zu dessen Vernichtung. Mit Geld, mit Waffen, mit Instrukteuren, die in der palästinensischen West Bank den Terror lehren und im Gasastreifen eine breite Infrastruktur des Todes etabliert haben. So hat sich die Islamische Republik Iran seit Beginn der zweiten Intifada als Akteur auf dem israelisch-palästinensischen Kriegsfeld aufgestellt. Längst vor der Wahl Achmadinedschads, längst vor dem triumphalen Wahlsieg der Hamas hatte ausgerechnet die säkulare Fatah-Bewegung des Yassir Arafat schon 2000 ihre Rückwendung nach Teheran vollzogen.
Daß die schiitisch-islamistische Republik Iran nicht nur ihre sunnitisch-islamistischen Glaubensbrüder in Palästina unterstützt, sondern seit Jahren ebenso den militärischen Terrorflügel der Fatah, die Al- Aksa-Brigaden, ist von Europa stoisch ignoriert worden. Ebenso die Tatsache, daß im Auftrag der Islamischen Republik Iran die schiitische Hisbollah eigene Kämpfer mit Waffen, Geld und Terroraufträgen in die West Bank und den Gasastreifen entsandt hat. Dutzende Terroranschläge gehen auf die Rechnung Teherans – innerhalb Israels, gegen israelische Zivilisten.
Machmud Achmadinedschad propagiert nichts Neues mit seinen Aufrufen zur Vernichtung Israels. Allerdings dürfte ihm klar sein, daß die Möglichkeiten, seinem Traum neue Kraft zu geben, mit dem Wahlsieg der Hamas deutlich gestiegen sind. Dieser Sieg ist nicht nur der Denkzettel frustrierter und sozialdepressiver Palästinenser, die an der unvorstellbaren Korruption der alten PLO-Bande leiden, die sich aus dem gemeinsamen Exil in Tunis kennt. Der Erfolg der Hamas ist auch das Ergebnis der schleichen- den Islamisierung der gesamten palästinensischen Gesellschaft. Sie ist seit einer Dekade von der säkularen Fatahführung zu einer Gesellschaft erzogen worden, die in der Kultur des Todes, des islamistischen Märtyrertums erstarrt ist. Hamas hat nur die Ernte dessen eingefahren, was vor allem die Fatah und Yassir Arafat gesät haben.
Es mutet hilflos an, wenn nun Angela Merkel bei ihrer ersten Nahost-Reise der künftigen palästinensischen Hamas-Regierung Bedingungen stellt. Ihr bleibt nichts anderes übrig als Realpolitikerin, die sie ist. Hamas soll das Existenzrecht Israels anerkennen, auf Gewalt verzichten, die bestehenden Verträge zwischen Israel und den Palästinensern bestätigen. Geschieht das nicht, so die Drohung, heißt das: keine Gespräche. Schlimmer noch: kein Geld.
Weit mehr als fünf Milliarden Euro hat Europa seit dem Oslo-Friedensabkommen zwischen Israel und der PLO nach Palästina gepumpt. Geld, das an genau dieselben Bedingungen geknüpft war, wie sie Merkel nun formuliert. Geld, das schon damals auch in Terror floß. Im besten Fall nur auf Bankkonten in der Schweiz.
Hamas wird die Drohung Europas nicht sonderlich beeindrucken. Die Hamasführer wissen, daß Europa weniger Angst hat, sein Geld könne für Terror mißbraucht werden, als davor, daß eine Hamas-Regierung ihren Terrorjoker noch viel offensiver spielen wird: die iranische Karte.