judaistik
Wille zur Humanität
In Berlin wurde an Ernst Ludwig Ehrlich sel. A. erinnert
von Hartmut Bomhoff
»Wir haben die Krone unseres Hauptes verloren«: Mit diesem Bild beschrieb Rabbiner Henry G. Brandt den großen Verlust, den der Tod von Ernst Ludwig Ehrlich für die jüdische Gemeinschaft und weit darüber hinaus bedeutet. Der Judaist, Religionsphilosoph und Publizist, der am 21. Oktober in Riehen bei Basel verstarb, wurde am Sonntag in einer Gedenkfeier (veranstaltet unter anderem vom Zentralrat der Juden, der Allgemeinen Rabbinerkonferenz und dem Abraham-Geiger-Kolleg) im Berliner Centrum Judaicum gewürdigt. Hausherr Hermann Simon verwies auf die nahe gelegene Hoch- schule der Wissenschaft des Judentums, an welcher der 1921 in Berlin geborene Ehrlich noch bei Leo Baeck studierte, bis es ihm nach einem Jahr Zwangsarbeit gelang, sich 1943 in die Schweiz zu retten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel erinnerte in ihrem Kondolenzschreiben an Ehrlichs Gabe, Brücken zwischen Religionen und Kulturen zu bauen. Was es mit seinem unbeirrten Engagement für den Dialog auf sich hatte, wurde Ehrlichs Witwe Sylvia und gut 150 Freunden, Weggefährten und Gesprächspartnern an diesem Nachmittag noch einmal gegenwärtig. Rabbiner Brandt, der Präsident von B’nai B’rith Europa, Reinold Simon, und Rabbiner Walter Homolka erinnerten in ihren Gedächtnisreden an einen Talmid chacham, der mit seiner religiösen Liberalität die Brücke zum deutschen Judentum der Vorkriegszeit geschlagen hatte und der die Tradition in moderne Formen hineinzuholen verstand: »Er hat dazu beigetragen, dass es mit dem Abraham-Geiger-Kolleg wieder einen Ort der Rabbinerausbildung in Deutschland gibt.« Der Chefredakteur des Schweizer Monatsmagazins Tachles, Yves Kugelmann, beschrieb Ehrlichs Kampf gegen jegliche Diskriminierung von Juden durch Juden: Er war, so Kugelmann, ein Vertreter der jüdischen Ge- meinschaft »kraft seines Judentums«, nicht als Politiker oder Funktionär.
Der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Hans Joachim Meyer, und Hubert Frankemölle von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zu- sammenarbeit zeichneten nach, wie Ehrlich über 30 Jahre lang dem jüdisch-christlichen Dialog in Deutschland seinen eigenen theologischen Stempel aufgedrückt hat. »Er, der selbst ein Opfer nationalsozialistischer Verfolgung war, betrachtete den Dialog als das einzig mögliche Mittel zum Neuanfang und zur Versöhnung«, zitierte Langendörfer Kardinal Walter Kasper.
Ernst Ludwig Ehrlich setzte sich stets für ein solidarisches Miteinander ein. Bei der Gedenkfeier schien es, als habe sich diese Gemeinschaft wirklich gefunden: christliche Theologen und die Mitglieder der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, alte Freunde und Weggefährten wie George und Ruth Lippmann, Inge Marcus, Ernst Cramer und Nathan Peter Levinson, Verleger wie Monika Schoeller und Klaus G. Saur. Auch Politiker kamen zu Wort: der Außenpolitische Sprecher der SPD, Gert Weisskirchen, Staatssekretär Michael Mertes von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen und der Generalsekretär der Konrad-Adenauer-Stif- tung, Wilhelm Staudacher. Sie schilderten Ehrlich als großen Europäer und politischen Berater, etwa von Willy Brandt. Beendet wurde die Feier, die von der Mezzosopranistin Anne-Lise Nathan mit Liedern der Romantik umrahmt wurde, mit dem El male rachamim und dem Kaddisch. Die Trauergemeinde ging mit dem Appell von Kugelmann auseinander, dem Weg des Gerechten selbst gerecht zu werden.