Arik Brauer hatte sich zu einer Lesung angesagt. Viele Münchner nahmen die Gelegenheit gerne wahr, den Wiener Künstler persönlich zu erleben und folgten so der Einladung von Literaturhandlung und B’nai B’rith ins Literaturhaus. Für die einen stand dabei die Neugier auf den Mitbegründer der »Wiener Schule des Phantastischen Realismus« im Vordergrund, der sich ebenso wie seine Künstlerkollegen Friedensreich Hundertwasser und Ernst Fuchs mit surrealen Bildern und einer neuen Form des Bauens beschäftigt hat. Für andere stand das jüdische Element im Vordergrund. Bereits vor Beginn der Lesung aus seinem jüngsten Werk Die Farben meines Lebens (Amalthea Verlag Wien) sprach man im Publikum begeistert vom musikalischen Talent der Familie Brauer oder von einer Pessach-Haggada, die der Maler illustriert hatte und die man hoch in Ehren halte.
Beinahe Heimvorteil also für Arik Brauer. Und in der Tat schlug auch die geographische und sprachliche Nähe zwischen Südbayern und Wien eine Brücke des Verständnisses, ganz wörtlich genommen: des sprachlichen Verständnisses. Die in Hochdeutsch geschriebenen Passagen seiner Erinnerungen las Brauer mit einem für die meisten Münchner sympathischen Wiener Akzent.
Die Lesereise auf den Erinnerungsspuren Brauers zwischen Wien und Israel, zwischen glücklicher Fügung und Chuzpe, wurde so leicht wie die Farben des Regenbogens, auch wenn der Inhalt manchmal den Atem stocken ließ. Wie etwa bei der Episode über die Hausmeisterin seines Elternhauses im 14. Bezirk. Geprägt von einem vererbten Antisemitismus, von nie reflektierten Vorurteilen, habe sie im entscheidenden Augenblick als Mensch gehandelt und dem kleinen Schusterbuben Arik, der damals noch Erich hieß, das Leben gerettet, als sich die SA der bereits versiegelten Werkstatt seiner Vaters näherte. »Eine Bewußtseinsschicht tief unter ihrem angelernten Antisemitismus löste ihre Reaktion aus, so wie man ohne nachzudenken einen am Rücken liegenden, zappelnden Käfer umdreht. Blitzschnell drängte sie den Knaben in die Gangtoilette und sperrte von außen zu.« Nachdem die SA-Männer wieder weg waren, sperrte sie wieder auf und brummte dem Jungen, den sie eben noch vor den Schergen bewahrt hatte, hinterher: »Judengsindl, schleicht’s euch nach Palästina.«
Arik Brauer verstand es, zwischen den ernsten, und doch heiter aufbereiteten Themen, die bei manch einem der Zuhören auch Kapitel der eigenen Biographie berührten, immer den Kontakt mit dem Publikum zu halten. Er sprach es direkt an, etwa mit Bemerkungen wie »Könnt’s euch vorstellen, wie lang das her ist!« oder mit Blick auf die Uhr: »Is a bissl lang. Geht sich das aus?« Das Ja auf diese Frage kam mit überzeugendem Applaus.
Nach vielen nachdenklich stimmenden Episoden schloß Arik Brauer seine »Reise in viele Lebenswelten«, wie es Gastgeberin Rachel Salamander formulierte, mit einem heiteren Kapitel: »Das Großväterseminar«. Hier war für viele die Identifikationsmöglichkeit gegeben, ohne daß zugleich auch belastende Lebensschicksale wachgerufen wurden. Der siebenfache Großvater und durchaus auch selbstkritische Lebenskünstler wurde entsprechend stürmisch gefeiert und anschließend am Signiertisch noch lange belagert. Miryam Gümbel
Arik Brauer