von Ralf Hanselle
Wenn Menschen schlafen, sind sie hilf- und wehrlos, allein in ihrer nackten Unschuld. Nichts ist deshalb brisanter als fremde Blicke im eigenen Schlafzimmer. Hier ist die Zone der letzten Intimität, der Schutzraum vor der privaten Verletzung. Die palästinensische Künstlerin Jumana Manna hat diese Blicke gewagt. Dutzendfach und stets bewaffnet mit einer Kleinbildkamera. Herausgekommen ist eine fotografische Serie »Arab Men«. Es sind Blicke, die wie Invasionen wirken; Bilder als voyeuristischer Überfall. Die jungen Araber liegen leger oder zusammengekauert auf ihren Betten. Meist tragen sie nicht mehr als ausgeleierten Feinripp-Chic. Selbst Machos bekommen da etwas verzagt Jungenhaftes.
Jumana Mannas Bilder wurden in Wohnungen in Israel und in den palästinensischen Gebieten aufgenommen. Es sind Grenzüberschreitungen in Gegenden, in denen Grenzen ohnehin kaum gelten. Denn jede private Bewegung kann hier schon politisch sein, jedes Persönliche wird schnell verdächtig. Und der Voyeur sitzt im Jedermann: im Kameraauge der Weltöffentlichkeit, in der Angst eines jungen Besatzungssoldaten, im skeptischen Blick israelischer Politik. In diesem Klima spiegelt Manna das Große im Kleinen wider: ein Trick, der deutlich macht: Der »Feind« in seinem Bett ist weder Riese noch Monster. Er ist unsexy und ungewandt.
Jumana Manna, eine in Oslo lebende Araberin mit israelischem Pass, ist eine von gut zwanzig meist jungen Künstlerinnen und Künstlern, die derzeit ihre Arbeiten in der Kunstsammlung Essl in Klosterneuburg bei Wien zeigen. »Overlapping Voices« heißt die Schau, deutsch »Überlagernde Stimmen«. Zusammengestellt von vier Kuratoren – einem Israeli, einem Palästinenser und zwei Vertretern des Wiener Kunstprojektes Rites-Institute – versuchen hier Kreative aus Israel und aus den palästinensischen Gebieten, den eingefahrenen Diskursen im Nahen Osten neue Impulse zu geben. »Es ging uns nicht um den schönen Gedanken vom friedlichen Zusammenleben einiger Künstlerexistenzen«, resümiert der israelische Fotograf und Mit-Kurator Tal Adler das Ziel. Die Ausstellung wolle weder versöhnen noch spalten, sagt der junge Fotokünstler, der selbst mit einer interessanten Arbeit über die Beduinen des Negev vertreten ist. Israelische und palästinensische Künstler seien keineswegs versessen darauf, miteinander ins Gespräch zu kommen. Und doch: Eine Ausstellung sei besser als keine.
Künstler sind eben keine besseren Menschen. Im Idealfall verfügen sie nur über die ästhetischen Mittel, um den Berg von Problemen auf Augenhöhe abtragen zu können. Ob Eyal Ben-Dovs an Richard Avedon erinnernde Porträtserie über Teilnehmer sogenannter »Tribal Festivals«, Shula Keshets Installationsarbeit über orientalische Juden oder Yoav Weiss’ Projekt Buythewall.com, das sich mit der Sperranlage zwischen Israel und der Westbank auseinandersetzt: Exemplarisch und mit unterschiedlichsten Medien versucht »Overlapping Voices« die sonst so holzschnittartigen Problembeschreibungen des Nahen Ostens künstlerisch ein Stück aufzumischen. Jumana Manna jedenfalls ist optimistisch. Kunst, sagt die Fotografin, könne zwar keine Lösungen schaffen. Aber eines könne sie bestimmt: in verfahrenen Situationen neue Hoffnung geben.
Overlapping Voices. Israeli and Palestinian Artists. Bis 26. Oktober in der Sammlung Essl, Klosterneuburg / Wien
www.essl.museum