Weihnachten

Wie jedes Jahr zur gleichen Zeit

von Hannes Stein

Alle Jahre wieder. Christopher Hitchens, der in Washington lebt und einen atheistischen Bestseller verfasst hat (Der Herr ist kein Hirte), fühlt sich auch diesen Dezember in einen totalitären Einparteienstaat versetzt. »In jeder Zeitung, in allen Medien die Anrufung immer nur desselben Themas. Auf allen öffentlichen Plätzen, von Bahnhöfen bis zu Kaufhäusern, ein insistierendes Dröhnen immer derselben Propaganda und Musik. Die Kollektivierung der Fröhlichkeit, die zwangweise Verabreichung von Freude.« An der Schule der eigenen Kinder werde »Zeit für Dummheiten vergeudet«, so Hitchens. Und der Präsident gebe »schale ökumenische Verlautbarungen« von sich – ein Mann, »der Wichtigeres zu tun hätte und von der Verfassung gehalten ist, Stellungnahmen zu Religionen zu unterlassen.« Die Rede ist – kling, Glöckchen, klingelingeling – von Weihnachten.
Die Anti-Defamation League (ADL) würde sich nie zu solch polemischen Äußerungen hinreißen lassen. Aber auch dieser Organisation, deren selbst erklärte Mission es ist, »das jüdische Volk vor Verleumdungen zu schützen und Gerechtigkeit und Fairness für alle sicherzustellen« – auch der Anti-Defamation League ist der erste Zusatz zur Verfassung der Vereinigten Staaten wichtig und eigentlich heilig.
Der erste Verfassungszusatz garantiert fünf Rechte auf einmal: die Religions-, Rede-, Presse- und Demonstrationsfreiheit sowie das Recht, sich mit Beschwerden an den Kongress zu wenden. Vor allem aber steht dort: »Der Kongress darf kein Gesetz bezüglich der Etablierung einer Religion erlassen.« Mit anderen Worten: Der Staat hat weltanschaulich gefälligst neutral zu sein. Die Vereinigten Staaten sind kein christliches Land, vielmehr handelt es sich um eine Nation, in der Christen jedweder Schattierung ebenso wie Scientology-Anhänger, Atheisten und Juden das Recht haben, von der Obrigkeit in Ruhe gelassen zu werden.
An öffentlichen Schulen in Amerika darf deswegen im Dezember weder Weihnach-ten noch Chanukka oder Kwanzaa gefeiert werden, die Erfindung eines schwarzen Bürgerrechtlers in den 60er-Jahren, damit auch die Afroamerikaner ein Lichterfest hätten. Zwar sei es erlaubt und vom pädogogischen Standpunkt sogar wünschenswert, wenn die Schüler etwas über die verschiedenen Religionen erfahren, aus denen sich der große amerikanische Flickenteppich zusammensetzt. Aber, so stellt die Anti-Defamation League in einer offiziellen Verlautbarung fest: »Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Praktizieren einer Religion und der Belehrung über eine Religion (...) Es ist öffentlichen Schulen von der Verfassung her zwar erlaubt, über Religion zu unterrichten, aber es widerspricht der Verfassung, wenn öffentliche Schulen religiöse Feiertage begehen.«
Jeden Dezember startet die Anti-Defamation League darum eine große Offensive, wenn Weihnachten, Chanukka, Kwanzaa (und in manchen Jahren auch der Ramadan) am Horizont drohen: Die ADL verschickt Briefe an öffentliche Schulen und weist auf die Rechtslage hin. An manchen Orten veranstaltet die Liga sogar Seminare für Lehrer, Eltern und Angehörige der Schulverwaltung, in denen es darum geht, welche Feiertagsdekorationen im Kunstunterricht hergestellt werden können und welche Art von religiöser Musik im Gesangsunterricht behandelt werden darf.
Die Grundregel hierbei lautet: Beinahe alles ist erlaubt, wenn es in einem säkularen Rahmen stattfindet. »Zum Beispiel mag es erlaubt sein, wenn Schüler ein Stück aufführen, in dem gezeigt wird, wie eine Familie am Weihnachtsmorgen ihre Geschenke auspackt. Aber es wäre nicht erlaubt, wenn die Schule ein Stück über die Geburt Jesu fördern würde, denn solche Aufführungen sind ihrer inneren Natur nach Bekräftigungen eines bestimmten religiösen Standpunktes.«
Steve Steinberg, der als Vizedirektor der ADL für Rechtsangelegenheiten in ganz Amerika zuständig ist, berichtet, dass immer wieder Eltern anrufen, wenn sie das Gefühl haben, ihre Kinder würden in der Schule zu religiösen Aktivitäten genötigt, zum Singen von Weihnachtsliedern etwa oder zum Schmücken eines Christbaums. Es seien vor allem Juden, die sich mit solchen Beschwerden melden, sagt er.
Eine genaue Statistik über die Häufigkeit solcher Anrufe führt Steinberg nicht, aber es sei »ein beständiges Tröpfeln«. Die Anti-Defamation League überlegt sich jedesmal sehr genau, ob sie wirklich einschreiten will. »Es liegt nicht in unserem Interesse«, so Steinberg, »uns ohne guten Grund mit öffentlichen Schulen anzulegen.«
Christopher Hitchens weist in seinem polemischen Essay übrigens darauf hin, dass es nicht einmal besonders rabiate Atheisten, sondern rabiate Christen waren, die Weihnachten ganz und gar verboten: Unter Oliver Cromwells puritanischem Regime wurden im England des 17. Jahrhunderts keine Christbäume geduldet. »So weit würde kein Anhänger des ersten Verfassungszusatzes gehen. Aber es gibt Millionen von eigens hierfür vorgesehenen Gebäuden auf dem gesamten Gebiet der Vereinigten Staaten – die meisten von ihnen steuerbefreit, einige sogar staatlich subventioniert –, in die sich jedermann begeben kann, um zu jeder Tages- und Nachtzeit wundersame Geburten und schwangere Jungfrauen zu feiern, wenn ihm danach ist. Diese Gebäude heißen ›Kirchen‹ ... Wenn das nicht ausreicht, dann sollen sie alle verdammt sein. Möge Gott sie alle verdammen.«
Die Anti-Defamation League würde es nie so krude, nie so unhöflich und taktlos ausdrücken. Aber just darum geht es.

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