Auch wenn der Aufstand der Wagner-Söldner für Russland einem Hochverrat gleichkam, so zeichnet sich weiterhin keine Anklage dafür ab. Der rebellische Chef der Gruppe, Jewgeni Prigoschin, ist zwei Wochen nach der Revolte jedenfalls nach wie vor auf freiem Fuß.
Am Donnerstag soll er sich in seiner Heimatstadt St. Petersburg aufgehalten haben. Statt ihn vor Gericht zu bringen, scheint der Kreml dem Söldner-Chef aber an anderer Front zu Leibe zu rücken, bei seinen Finanzen. Könnte es vielleicht Ermittlungen gegen Prigoschin wegen Missbrauchs staatlicher Gelder geben?
Noch bis vergangene Woche hatte die russische Regierung nie zugegeben, das Söldnerunternehmen finanziert zu haben. Nach dem Aufstand räumte Präsident Wladimir Putin aber ein, dass der Staat in nur einem Jahr umgerechnet fast eine Milliarde Euro an Wagner gezahlt habe, neben etwa der gleichen Summe an Regierungsaufträgen für Prigoschins weitere Unternehmungen. Putin fragte sich laut, ob davon Geld abgezweigt worden sei.
Das staatliche Fernsehen griff das Stichwort auf. Kommentator Dmitri Kisseljow sprach von mehr als 1,7 Billionen Rubel (rund 18 Milliarden Euro), die über Regierungsaufträge an Prigoschin-Unternehmen gingen – etwa jeweils zur Hälfte an Wagner und die Catering-Firma Concord. Die Wirtschaftszeitung »Wedomosti« berichtete unter Berufung auf eine dem Verteidigungsministerium nahestehende Quelle, die Einnahmen seien zwischen 2014 und 2023 erzielt worden. Das wäre vor allem in dem Zeitraum, in dem sowohl Prigoschin als auch die russischen Behörden eine solche Verbindung zum Wagner-Unternehmen oder sogar die Existenz der Söldnertruppe bestritten hatten.
»Das große Geld hat Prigoschin den Kopf verdreht«, sagte Fernsehmann Kisseljow. Die Erfolge seiner Privatarmee hätten dem Söldnerchef dazu offenbar ein »Gefühl der Straffreiheit« gegeben. Und ein möglicher Grund für den Aufstand könnte eine Weigerung des Verteidigungsministeriums sein, einen milliardenschweren – legalen - Vertrag mit Prigoschins Catering-Firma Concord zur Verpflegung der Streitkräfte zu verlängern.
Am Mittwoch zeigten russische Medien dann Aufnahmen von Durchsuchungsaktionen in Prigoschins Büros in St. Petersburg und in einer großzügigen Villa, die dem Söldner-Chef gehören soll. Zu sehen waren dort auch ein Lieferwagen mit Kisten voller Geld sowie Goldbarren und Waffen. Komme jetzt heraus, dass Jewgeni Prigoschin einfach nicht genug kriegen konnte?, fragte ein Nachrichtenmoderator im Fernsehen.
Ziel der Enthüllungen sei, die Person Prigoschin schlecht zu machen und als Oligarchen darzustellen, erklärte dazu Ilja Schumanow von der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International. Die Botschaft des Kremls laute nun: »Wir haben es mit einem Dieb, einer korrupten Person zu tun, einem Dieb und einem Oligarchen, der zu weit gegangen ist und Geld aus der Staatskasse gestohlen hat«, sagte Schumanow. Das sei eine klare Erklärung, und niemand müsse geopfert werden – außer Prigoschin. Wagner sei wahrscheinlich entweder mit Bargeld über Briefkastenfirmen oder mit Regierungsaufträgen an Prigoschins andere Unternehmen bezahlt worden.
Der Umgang mit dem Wagner-Chef mit jüdischen Wurzeln ist für manche Beobachter vor allem ein Signal für die Schwächung des Staates. Andrej Kolesnikow vom Carnegie-Forschungszentrum schrieb: »Das Gefüge des Staates löst sich auf.« Und der St. Petersburger Stadtrat Nikita Juferew beklagte eine »Erosion des Rechtssystems« in Russland.
Tausende Personen seien mit Panzern auf Moskau zugerollt, hätten Flugzeuge abgeschossen und 15 Soldaten getötet, erklärte Juferew. Daraufhin sage der Präsident: »Ich werde euch alle bestrafen, ihr seid Meuterer.« Und dann geschehe nichts.
Doch Experte Schumanow von Transparency International glaubt, dass in der Causa noch längst nicht das letzte Wort gesprochen ist. »Ich würde ein paar Wochen warten«, sagte er der AP. Dann werde es sicher eine Reaktion im Bezug auf Prigoschin und seine unternehmerischen Aktivitäten geben. ap