Dieser Buchtitel lässt sich durchaus ironisch verstehen: Kol Ischa, hebräisch für »Die Stimme der Frau« wird vom Talmud als »Blöße« bezeichnet. Im Religionsführer Kizzur Schulchan Aruch ist von der Verführungskraft der weiblichen Stimme die Rede, und entsprechend ist es in orthodoxen beziehungsweise charedisch-chassidischen Gemeinden oft streng verpönt, dass Frauen in der Öffentlichkeit ihre Stimmen erheben und dass nicht nur, wenn sie sich singend darstellen sollten.
Die Frauen, die hier zu Worte kommen, nehmen die Wortmeldung aber in An-
spruch – die mehr als 40 Autorinnen, die sich die Wochenabschnitte vornehmen. Spannend an diesem Projekt ist die Bandbreite – sie reicht von einer orthodoxen Betrachtungsweise über traditionelle Formen bis zu einer sehr liberalen .
Spannend ist sicher auch, dass es neben sehr traditionellen Sichtweisen auf die Tora, welche die Rollen der Geschlechter nicht oder kaum in Frage stellen, auch ausgesprochen provokative Thesen gibt – etwa im Beitrag von Rabbinerin Bea Wyler: Sie sieht im Rahmen der Parascha »Wajischlach« das Thema Gewalt in der Familie berührt, und das ist für sie vor allem männliche Gewalt.
Solche Interpretationen kommen den drei Herausgeberinnen vermutlich doch entgegen. Wie eine von ihnen, die 1960 in Stuttgart geborene Yvonne Domhardt in den einleitenden Bemerkungen schreibt, seien »Toragelehrsamkeit und G-ttesdienst im traditionellen Judentum stets von Männern bestimmt. Weibliche Spiritualität fand ihren Ausdruck hauptsächlich im persönlichen Gebet und im häuslichen Umfeld.« Und weiter: »Dass Frauen die Tora auslegen und damit wie Männer die jüdische Tradition prägen, ist eine relativ neue Erscheinung.«
An dieser neuen Erscheinung beteiligen sich im vorliegenden Band neben den bereits genannten auch weitere prominente Namen wie Adina Ben-Chorin, Alice Shalvi oder Eveline Goodman-Thau. Gerade der Beitrag der israelischen Autorin Alice Shalvi über »Chaje Sara«, den einzigen Wochenabschnitt, der nach einer Frau benannt ist, bemüht sich dabei wohl um eine gewisse Versöhnung der Geschlechter.
Die Herausgeberinnen sehen sich in der Tradition der 1997 verstorbenen Zürcher Feministin Marianne Wallach-Faller und zitieren diese: »Es gilt auch, die weibliche Hälfte der Menschheit aus ihrem Exil, aus ihrer Verdunkelung herauszuführen, damit ihr Licht wieder gleich hell strahle wie das Licht der Männer.« Peter Bollag
yvonne domhart, esther orlow,
eva pruschy (hrsg.): kol ischa.
jüdische frauen lesen die tora
Chronos, Zürich, 2007, 21.80 €