Herr Rabbiner Engelmayer, 1996 hat der damalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar als »Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus« eingeführt. Haben sich die Formen des Erinnerns bewährt?
engelmayer: Das sind gute Möglichkeiten, um ein allgemeines Bewusstsein zu stärken und für die Vergangenheit zu sensibilisieren. Aber solche Formen des Gedenkens dürfen nicht so ritualisiert werden, dass sie zur Hülle werden. Wir müssen bestimmte Formen neu gestalten. Wir haben am 9. November beispielsweise sehr erfolgreich erstmals verschiedene Schulprojekte in die offizielle Gedenkveranstaltung einbezogen.
Welchen Beitrag hat der christlich-jüdische Dialog zur deutschen Erinnerungskultur geleistet?
engelmayer: Ich bin sehr positiv überrascht. Es ist beachtlich, was in Deutschland von nichtjüdischer Seite an bewusster Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, an persönlichem Engagement, an Erinnerung an die Geschichte und ihren Lehren daraus geleistet wird. Da kann Deutschland ein Vorreiter für andere Länder sein.
Dennoch gibt es weiterhin Antisemitismus und verbale Entgleisungen.
engelmayer: Es gibt immer wieder unhaltbare Vergleiche und gefährliche Banalisierungen. Vieles davon ist, hoffentlich, einfach unüberlegt und dumm. In dem einen oder anderen Fall basiert eine solche verbale Entgleisung möglicherweise aber doch auf irgendeinem antijüdischen Reflex.
Wie wichtig sind Erklärungen des Deutschen Bundestages oder etwa des Landtags von Nordrhein-Westfalen, in denen der Antisemitismus verurteilt wird?
engelmayer: Das sind wertvolle Zeichen. Wir fühlen uns grundsätzlich durch die Politik bestärkt, sowohl durch die Gesetzgebung als auch durch die handelnden Personen. Der Staat steht hinter der jüdischen Gemeinschaft, das ist ein gutes und sicheres Gefühl.
... aber längst noch keine Normalität?
engelmayer: Es gibt ja leider immer noch einige Verrückte, vor denen wir geschützt werden müssen. Erst wenn es die Gewissheit gibt, dass ich mich als Jude gefahrlos auf der Straße bewegen kann und ganz selbstverständlich als Jude wahrgenommen werde, ist das Normalität. In Deutschland wird man als Jude aber oft als etwas Exotisches wahrgenommen und der Umgang fokussiert sich auf Themen wie die Vergangenheit oder Nahost.
Mit dem Kölner Rabbiner sprach Constantin Graf Hoensbroech.