von Annette Wollenhaupt
Es ist ein Bilderbuchtag. Wolkenloser blauer Himmel und Sonne laden zum Eis-essen-Gehen oder zum Schwimmen im Freibad ein. Stattdessen zieht es am Sonntag acht Jungen und Mädchen aus ganz Deutschland und Österreich mit ihren Eltern zum nationalen Vorentscheid des internationalen Mibereshit-Wettbewerbs: »Was weiß ich von Israel?« nach Frankfurt am Main.
Blaue und weiße Fähnchen mit dem Davidstern und der Menora schmücken den Mibereshit-Wettbewerbsraum im fünften Stock der Jüdischen Gemeinde. Große Israelbanner hängen an den Wänden und an den Tischen, hinter denen die acht Kinder sitzen. Papa oder Mama können nun nicht mehr helfen. Die Zehn- bis Zwölfjährigen wirken angespannt. Sie schauen auf das Blatt Papier vor sich mit den ersten Wettbewerbsfragen.
Der Wettkampf beginnt mit einem schriftlichen Test. Finger wühlen sich nervös ins eigene Kinderhaar, die jungen Teilnehmer schauen um sich, folgen aufmerksam den Anweisungen von Organisatorin Iris Elkabets von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Sie bestimmt an diesem Nachmittag zwar die Regeln des Wettbewerbs, doch sie wirkt warmherzig, versucht die Verkrampfung zu lösen. Die Zeit läuft.
Viele Wochen lang haben sich die Kinder auf den nationalen Vorentscheid vorbereitet. Jetzt wird sich zeigen, was das kindliche Gedächtnis zu speichern in der Lage war. Jetzt sagen die Eltern nicht mehr ein oder geben Hilfestellungen, Eselsbrücken. Jetzt sind sie weit weit fort.
Weltweit haben sich mehr als 7.500 Kinder aus 17 Ländern an diesem Wissensquiz beteiligt. Mädchen und Jungen aus Argentinien und Australien, aus Brasilien, dem fernen Guatemala, aus Chile und China, aus Deutschland, seinem Nachbarland Frankreich, aus Kolumbien, Mexiko und Peru, aus Südafrika, Spanien, der Schweiz. Auch in der Türkei, in den USA und in Uruguay wetteiferten Kinder um den Titel des besten Israelkenners.
Initiiert wurde der Mibereshit-Wettbewerb »Was weiß ich über Israel?« von der Foundation for Jewish Renaissance in Zusammenarbeit mit dem Israelischen Erziehungsministerium. »Er soll dabei helfen, die Bedeutung des Staates Israel aufgrund seiner traurigen Geschichte zu erfassen und einzuschätzen«, sagt Iris Elkabets.
Während ihre Kinder noch den schriftlichen Test durchlaufen, sitzen die Mütter und Väter im Restaurant der Jüdischen Gemeinde beisammen. Thomas Dittmar ist einer von ihnen. Er ist mit seiner elf Jahre alten Tochter Emma angereist. Das Mädchen mit den dunkelblonden, zum Zopf gebundenen Haaren besucht die Jüdische Oberschule in Berlin. Emmas Familie ist nicht jüdisch, doch, sagt Thomas Dittmar: »Israel ist für uns immer schon ein Thema gewesen. Es gibt eine Wertschätzung und eine große Affinität.« Emmas Vater schätzt vor allem »das Argumentieren im Judentum«. Im Christentum fehle ihm »die Möglichkeit, argumentativ mit einem Gott in ein Zwiegespräch zu treten«. Den Mibereshit-Wettbewerb findet der 41-jährige Filmaufnahmeleiter »toll«. Er selber habe viel Neues erfahren und Tochter Emma während der Vorbereitungen »neu kennengelernt«. Für den Vater war es »ein gemeinsames Abenteuer«. Wie Emma das gemeinsame Lernen fand, kann sie nicht erzählen, im Wettkampf ist sie ganz von der Umgebung abgeschirmt.
Thomas Dittmar gegenüber sitzt Robert Eisfeld, seine Tochter Hannah, ein zartes blasshäutiges Mädchen mit hellrotem schulterlangem Haar, besucht in Köln die Lauder-Morijah-Schule. Auch er spricht für seine Tochter: Beiden habe die gemeinsame Vorbereitung auf den Wettbewerb viel Neues vermittelt. »Ich hatte echte Lücken«, gesteht Eisfeld, »ich wusste zum Beispiel nicht, wer Joseph Trumpeldor war«. Jetzt kenne er die Antwort: »Trumpeldor war 1906 der erste jüdische Offizier in der Russischen Armee.« Für seine beiden Kinder, die neunjährige Hannah und ihren Bruder David, so der Vater, sei Israel ein vertrautes Land: »Wir haben viele Familienangehörige dort«, sagt Robert Eisfeld. »In fast jeder größeren Stadt gibt es Cousins und Cousinen.« Was in Israel passiert, sei oft Gesprächsthema in der Familie: »Hannah und David sind sich beide sehr bewusst über die politische Lage in Israel und über die Notwendigkeit, es zu unterstützen.« David zum Beispiel, entwickle »technische Ideen, um die Sicherheitslage in Israel zu verbessern. Hannah ist eher mit dem ganzen Herzen dabei, denkt darüber nach, wie man zum Beispiel den Kindern dort helfen könnte.« Gemeinsam sparten die Geschwister für wohltätige Zwecke und übergäben das Geld regelmäßig ihrer Schule oder dem Rabbiner. Während des gemeinsamen Lernens hätten seine Tochter vor allem die Einzelschicksale einzelner Israelis berührt, etwa das von Eli Cohen, der als israelischer Spion am 18. Mai 1965 in Damaskus öffentlich hingerichtet wurde und für dessen Begnadigung sich selbst der Papst eingesetzt hatte. Sie lernte die Geschichte vom jungen Jonathan Netanjahu kennen, der während der Operation Entebbe 1976 von einem ugandischen Scharfschütze erschossen worden war.
Für Robert Eisfeld, den Kölner Software-Entwickler mit Geschäftsbeziehungen auch nach Israel, ist der Wettbewerb von großer pädagogischer Bedeutung. Er sei besonders wichtig, weil »es derzeit Bestrebungen gibt, die Geschichte Israels zu verkehren, um eine Berechtigung dafür zu schaffen, den Staat Israel zu zerstören«. Mit dem Wettbewerb hingegen, »impfe man Kinder mit wahrheitsgerechter Information, so dass sie sich nicht mehr mit dem Virus der Falschinformation infizieren lassen«, sagt Eisfeld überzeugt.
Gerade hat auch Hannah ihren Stift beiseitegelegt. So wie alle anderen Kinder auch. Jetzt sind die mündlichen Prüfungen an der Reihe. Anspannung und Aufregung nehmen zu. Die erste Richtig-oder-falsch-Frage wird gestellt: »1948 wurde die Kotel befreit und die Stadt Jeruschalaim wieder vereint«. Hannah ist an der Reihe. »Falsch«, sagt sie und hat recht, denn es war der Sechs-Tage-Krieg 1967, der Befreiung wie Wiedervereinigung möglich machte. Gewinnerin des Wettbewerbs wird mit 54 Punkten die elf Jahre alte Arielle Fiedler aus Düsseldorf sein. Am 2. Juni wird sie in Jerusalem an der großen internationalen Endausscheidung teilnehmen. Anreisen wird Arielle bereits eine Woche zuvor. Damit sie Israel ganz aus der Nähe erleben kann.