von Tobias Müller
Das brennende World Trade Center, die Anschläge von Madrid und London, der Mord an Islamkritiker Theo van Gogh, dazwischen Hassprediger und Koranverse, die belegen sollen, dass das Heilige Buch des Islam »faschistisch« sei und zur Gewalt aufrufe – der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders präsentierte Ende vergangener Woche in seinem umstrittenen Film »Fitna« (Zwietracht) nichts Unerwartetes. Überraschend ist höchstens, dass der Koran, entgegen allen Befürchtungen, in der 15-minütigen Montage weder zerrissen noch verbrannt wird.
Eine neuerliche Eskalation der Islamfrage in den Niederlanden blieb damit vorerst aus – die Diskussion über das Verhältnis von Meinungs- und Glaubensfreiheit in den Niederlanden jedoch ist nach »Fitna« weiterhin in vollem Gange. Auch Vertreter der jüdischen Gemeinschaft melden sich zu Wort. Die gemeinsame Plattform jüdischer Organisationen, Centraal Joods Overleg (CJO), äußerte sich »beunruhigt« über den Film, der »nur die negativen Seiten« des Korans zeige und Vorurteile über Muslime bekräftige. Die suggerierte Verbindung zwischen Bildern von Terroranschlägen und der Migration von Muslimen nach Europa rücke »eine ganze Bevölkerungsgruppe in schlechtes Licht«. Das CJO ruft sowohl muslimische Gruppen als auch die gesamte niederländische Gesellschaft zu einem gemeinsamen Kampf gegen drohende Radikalisierung auf. Wilders’ Film dagegen verwirft sie als »kontraproduktiv«, da er sich »ernsthafter Verallgemeinerung schuldig macht«.
Allerdings fordert das CJO auch Wachsamkeit gegenüber extremistischen Tendenzen wie den »abscheulichen Auffassungen über Juden, die manche islamische Geistliche verbreiten und selbst Kinder damit indoktrinieren«. Im Film ist neben antisemitischen Predigern und Demonstranten auch ein kleines Mädchen zu sehen, das in einer arabischen Fernsehshow Juden als »Affen und Schweine« bezeichnet. Ruben Vis, Generalsekretär des orthodoxen niederländischen Dachverbands Nederlands-Israëlitisch Kerkgenootschap (NIK), stellt anhand dieser Bilder fest, »dass wir ungewollt in die Aufmerksamkeit gerückt sind, obwohl es in ›Fitna‹ nicht um unsere Religion geht«. Vis betont, eine demokratische Gesellschaft müsse sich gegen religiös motivierten Hass schützen. Den Film sieht er dazu jedoch nicht als geeignetes Mittel an, da er nur polarisiere. Vis verweist auf eine Anzahl an interreligiösen Initiativen, in denen die NIK bereits im Dialog mit Muslimen steht. »Dafür brauchen wir Herrn Wilders nicht.«
Bereits im Vorfeld der Veröffentlichung von »Fitna« waren die Juden in den Niederlanden ins Blickfeld gerückt: Der jüdische TV-Produzent Harry de Winter hatte Mitte März eine großformatige Anzeige auf der Titelseite der Zeitung Volkskrant geschaltet. Unterstützt von der umstrittenen israelkritischen Initiative »Een Ander Joods Geluid« (»Ein anderer jüdischer Klang«), deren Mitbegründer de Winter ist, hatte er behauptet, Wilders wäre längst wegen Antisemitismus verurteilt worden, wenn er ähnliche Äußerungen über Juden und das Alte Testament gemacht hätte.
Vor allem, dass de Winter dabei die heutige Islamophobie mit dem Beginn der Judenverfolgung verglich, rief bei jüdischen Intellektuellen massive Proteste hervor. David Pinto, Professor für Interkulturelle Kommunikation an der Universität Amsterdam, wies darauf hin, dass Wilders zwar abfällig über den Koran rede, doch keineswegs für die Vernichtung von Muslimen plädiere. Und Schriftsteller Leon de Winter sprach von einem »vollkommen stupiden Vergleich«, der die Diskussion störe. Kurz darauf wurde bei einer antirassistischen Demonstration in Amsterdam ein Mann festgenommen, der Flugblätter mit diskriminierenden Äußerungen Wilders’ verteilt hatte. Das Wort »Muslime« war darin jeweils durch »Juden« ersetzt worden.