von David Harnasch
Der Petitionsausschuss des Bundestags verzeichnet dieser Tage einen Rekord: Niemals fand eine Eingabe so schnell so viele Unterzeichner wie die aktuelle gegen das geplante Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie. Die Bundesregierung zeigt, dass sie das Internet nicht länger als rechtsfreien Raum dulden will. Aber fast 100.000 Bürger haben sich bisher online beschwert, weil sie Zensur befürchten. Dürfen sich im Windschatten der Meinungsfreiheit Antisemiten, Rassisten und Rechtsextremisten also weiter über eine auch künftig unregulierte, virtuelle Spielwiese freuen?
Die Sache ist komplizierter. Der umstrittene Entwurf gäbe auch bei Inkrafttreten wenig Anlass zur Hoffnung, dass mit seiner Hilfe die menschenverachtenden Sümpfe des Netzes trockengelegt werden können. Die Kritiker halten das Gesetzeswerk für handwerklich misslungen und wirkungslos. Sie befürchten zudem eine nicht überprüfbare staatliche Internetzensur. Familienministerin von der Leyen heißt bei ihnen folgerichtig »Zensursula«.
Was häufig vergessen wird: Kinderpornografie zu erstellen oder zu konsumieren, ist bereits strafbar. Und obwohl für volksverhetzende Inhalte ähnliche Gesetze gelten, taucht illegales Material immer wieder auf; im Gegensatz zur harten Pornografie oft auf leicht zugänglichen, öffentlichen Seiten. Den rassistischen Ku-Klux-Klan beispielsweise erreicht man ebenso problemlos wie die »Lobesgrüße an Euch, die Frontkämpfer von Gasa«, die Ayatollah Chamenei online übermittelt. Im öffentlichen Forum der österreichischen Kronen-Zeitung stehen Hunderte Lesereinträge wie: »Solange wir vor den Juden kriechen, wird sich nie was ändern! Wir schieben denen alles in den Arsch und kriechen vor den Massenmördern und Landräubern!«
Wenn solche Hetze schon nicht aus dem Netz entfernt werden kann, würde hier ein Filter sehr wohl Material – wenigstens für zufällige Betrachter – blockieren. Auch das bestehende Recht ist nicht völlig machtlos: Urhebern volksverhetzender Schriften droht schon jetzt in Deutschland Strafverfolgung, unabhängig vom Speicherort der Inhalte. Das zwangsläufig löchrige Netz für die verbleibenden Fälle rechtfertigt kaum ein eigenes Gesetz. Wobei »löchrig« untertrieben ist: Tatsächlich kann die geplante Art der Sperrung selbst von Laien leicht umgangen werden – ein Video erklärt das Vorgehen in genau 27 Sekunden.
Deutsche Anbieter von Internetzugängen müssten künftig bei Abruf von Seiten, die durch das Bundeskriminalamt als kinderpornografisch indiziert werden, ein Stoppschild anzeigen. Ein Kritikpunkt: Die Liste dieser Seiten kann nicht von Verbraucherschützern oder der Presse kontrolliert werden, weil ein öffentlich zugängliches Verzeichnis illegaler Inhalte widersinnig wäre. Würde man rassistische und antisemitische Inhalte ähnlich blockieren wollen, müsste außerdem jede Einzelentschei- dung zwangsläufig bei einem Gericht liegen. Denn der Graubereich dieser Delikte ist erheblich größer als bei Kinderpornos. Das geplante Gesetz sieht ferner vor, jeden, der auf einer Stopp-Seite landet, den Behörden zu melden – eine Einladung zum Rufmord. Um jemanden zu diskreditieren, kann es schon ausreichen, ihn mittels einer irreführenden Bezeichnung zum Klick auf einen entsprechenden Link zu motivieren. Die Beweislast liegt dann beim User. Während es bestimmt keinen entschuldigenden Grund geben kann, sich vergewaltigte Kinder ansehen zu wollen, gehört womöglich die kritische Auseinandersetzung mit volksverhetzenden Inhalten zum Prozess der politischen Willensbildung.
Und: Bestehende Gesetze sind keine Erfolgsgeschichte. Die dänischen Behörden arbeiten ebenfalls mit einer Liste von zu sperrenden Kinderpornoseiten, scheitern aber an deren Geheimhaltung. Seitdem kursiert sie als Wegweiser für Pädophile im Internet als denkbar schlimmstes Szenario. Anhand dieser Liste schrieb der Verein »Carechild« 20 Unternehmen in aller Welt an, auf deren Servern das Material weiter lag. 19 Anbieter reagierten binnen eines Tages. Die Behörden selbst hatten zuvor keine Anstalten gemacht, die Inhalte von den Servern löschen zu lassen, geschweige denn, die Urheber zu ermitteln. Mit der Liste galt offenbar: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Ein solcher Umgang ist weder im Zusammenhang mit Kinderschändern noch mit Rassisten und Antisemiten akzeptabel. Sie aktiv zu verfolgen, ist aufwendiger und teurer, als ihr Treiben notdürftig zu verdecken. Aber dieser mühsame Weg verspricht mehr Erfolg als ein zusammengeschustertes Gesetz, über dessen Wirkungslosigkeit die Feinde des Rechtsstaats nur lachen.
Der Autor ist Journalist und lebt in Freiburg.