von Detlef David Kauschke
Busfahrer Bernd Merkelbach blickt konzentriert auf den Verkehr. Der Mann hat Routine, das merkt man. Seit 25 Jahren schon sitzt er hinter dem Lenkrad, erzählt der Frankfurter. Er hat bereits viele unterschiedliche Fahrgäste an Bord gehabt. »Aber einen Bus voller Rabbiner habe ich noch nie gefahren.« Eigentlich hat er noch nie einen richtigen Rabbiner kennengelernt, gesteht er. Und nun sind es gleich mehr als 20, die mit ihm die zweistündige Fahrt unternehmen. Mitglieder der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD), die sich in der vergangenen Woche zu einem dreitägigen Seminar im Frankfurter Gemeindezentrum treffen. Am Mittwoch machen sie einen kurzen Abstecher zur Kultusgemeinde Dortmund.
Während Merkelbach den Bus ruhig über die Autobahn steuert, hat es sich Jakov Ebert fünf Reihen hinter ihm bequem gemacht. Er ist in seine Lektüre vertieft. Statt aus dem Fenster zu schauen und die Landschaft zu genießen, studiert der Würzburger Rabbiner ein Stück Mischna. Darauf angesprochen, hält er das Heft freundlich lächelnd hoch und erklärt gleich mit ein paar Sätzen, um welche Frage es in dem talmudischen Traktat »Megilla« gerade geht. »Man muss immer lernen, das ist wichtig«, sagt er.
Lernen ist das Motto dieser drei Tage. Ein Rabbiner lehrt seine Gemeinde die Tora und die jüdische Lebensweise. Er lehrt, sollte aber auch selber lernen. Die ORD lädt ihre Mitglieder deshalb zweimal jährlich zum gemeinsamen Studium ein. Und bei der in Zusammenarbeit mit der WZO, der World Zionist Organisation, organisierten Fortbildung geht es nicht nur um Talmud Tora, vielmehr auch um ganz praktische Fragen des Gemeindealltags. Wie soll der Rabbiner zum Beispiel reagieren, wenn seine Beter im Gemeindehaus einen Bingo-Abend veranstalten wollen? Stichwort Öffentlichkeitsarbeit: Wie soll ein Rabbiner mit den Medien umgehen? Und im Hinblick auf das bevorstehende Pessachfest geht es diesmal auch um besondere Aspekte der Erzählung am Sederabend.
»Rabbiner haben eine Vorbildfunktion«, sagt der Sprecher der ORD, der Kölner Gemeinderabbiner Netanel Teitelbaum. »Sie sollten sich ständig weiterbilden, damit sie als geistige Führer der Gemeinden auch Antworten auf zeitgemäße Fragen haben.« Vor vier Jahren wurde die ORD gegründet. Ziel der Organisation ist es nach eigenen Angaben, »sich um das jüdische Leben und den Erhalt und die Weiterentwicklung von jüdischer Tradition und Halacha in Deutschland zu kümmern«. Zum dritten Mal veranstaltet die ORD ein solches Seminar. »Wir beschäftigen uns dabei auch immer mit dem Thema Integration. Allgemein geht es dabei um die Eingliederung der Zuwanderer in Deutschland. Wir sehen unsere Aufgabe in ihrer Integration ins Judentum.«
Am Mittwochvormittag ist genau dies das Thema: Der Jerusalemer Rabbiner Yo-
sef Carmel spricht über Übertritte von Zuwanderern, die halachisch nicht jüdisch sind, aber aus jüdischen Familien stammen. Diskutiert wird, wie man diese Menschen dazu bewegen kann, jüdisch zu le-
ben »Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir genug tun, sie dazu zu bringen, die Mizwot zu halten«, gibt Carmel den Seminarteilnehmern mit auf den Weg.
»Wir unternehmen jetzt bei jedem Seminar auch einen Gemeindebesuch«, erläutert Rabbiner Teitelbaum. »Ich denke, es ist ein gutes Zeichen, dass Rabbiner sich nicht nur zum gemeinsamen Lernen versammeln, sondern auch rausgehen und andere Gemeinden unterstützen.« Der Dortmunder Rabbiner Avichai Apel freut sich über den Besuch seiner Kollegen: »Es ist das erste Mal, das eine so große Gruppe Rabbiner zu uns kommt.« Erst kürzlich habe er zur Einweihung einer neuen Torarolle mehrere Kollegen in seiner Synagoge begrüßen können. Aber mehr als 20 Rabbiner auf einmal, das sei einmalig, sagt er, »und für uns eine große Ehre«.
In Dortmund angekommen, geht es gleich weiter im Programm: geschlossene Sitzung, Diskussion, Nachmittagsgebet. Anschließend wird über die religiöse Er-
ziehung von Kindern gesprochen: Wie kann ich ihnen den hebräischen Kalender vermitteln? Wie soll ich ihnen beibringen, wann der Adar endet und der Nissan be-
ginnt? Wie lernen sie, ihren Geburtstag nach der jüdischen Tradition zu berechnen? Diese Frage versucht Amos Safrai zu beantworten. Der erfahrene Pädagoge vom Jerusalemer Emunah College hat gemeinsam mit dem Frankfurter Rabbiner Menachem Halevi Klein ein in sieben Unterrichtseinheiten gegliedertes Lehrpro- gramm entwickelt, das diese Kenntnisse altersgerecht vermitteln soll.
Itzchack Shtiglitz zieht eine bunte Broschüre aus der Aktentasche. Stolz präsentiert der WZO-Generaldirektor der Abteilung für religiöse Angelegenheiten in der Diaspora eine Haggada für Kinder, in Deutsch und Hebräisch. Druckfrisch wird sie an die Gemeinden verteilt. »Wir haben zwei Ziele«, sagt er zur Motivation der WZO, sich an den Seminaren zu beteiligen: »Wir wollen jüdisches Bewusstsein stärken. Zudem geht es um die Kräftigung der Beziehung zu Israel. Wenn sich ein Jude seiner Religion bewusster ist, ist auch seine Beziehung zu Israel viel intensiver.«
Nach dem Nachmittagsprogramm ist ein Moment Zeit, um eine erste Bilanz zu ziehen. Rabbiner Tuvia Hod aus Bad Kissingen ist sehr zufrieden mit dem Seminar: »Das ist genau das, was wir brauchen.« Er nehme interessante Hinweise und Anregungen mit. Der Düsseldorfer Rabbiner Julian-Chaim Soussan sieht in der Veranstaltung auch eine gute Gelegenheit, sich mit anderen Rabbinern auszutauschen. »Zudem bekommt man hier einen Anstoß, sich wieder in das Lernen zu vertiefen. Wenn man die Rabbiner-Ausbildung beendet hat, kommt das Lernen neben der alltäglichen Arbeit doch leider etwas zu kurz.«
Auch Rabbiner aus anderen europäischen Ländern sind mit dabei. Sie kommen aus Polen, Österreich, der Schweiz und, wie Dow I. Salzmann, aus Holland. Der Rabbiner aus Enschede nahm zum ersten Mal an einer Fortbildung der ORD teil und war gleich begeistert: »Ich finde es fantastisch, wenn Kollegen für ein gemeinsames Ziel zusammenarbeiten. Das ist etwas, was in Holland sehr fehlt. Dort ist jeder Rabbiner auf sich gestellt.« In diesem Sinne sei das ORD-Seminar genau das richtige Angebot, bestätigt Avichai Apel. »Hier lernen die Rabbiner gemeinsam, für sich und für die Gemeinde.« Kaum hat er den Satz ausgesprochen, geht es wieder zurück nach Frankfurt – zum dritten und letzten Teil des Seminars. Bernd Merkelbach wartet schon mit seinem Reisebus vor der Tür.