Reformbewegung

Wenn der Rabbi »Nein« sagt

von Sue Fishkoff

Deborah Bravo ist heute Rabbinerin in der Synagoge B’nai Jeshurun in Short Hills, New Jersey. Sie führte nach ihrer Ordination zur Reformrabbinerin im Jahr 1998 eine Menge Einstellungsgespräche. Die Frage, die man ihr überall stellte, war nicht die nach ihrer Einstellung zur Homosexualität, auch nicht, ob sie Kippa und Tallith trage, sondern die, ob sie ein gemischtes Paar trauen würde.
»Diese Frage ist zum Lackmustest für Anstellungen geworden«, sagte Bravo auf dem Jahrestreffen der rabbinischen Vereinigung der Reformbewegung (CCAR) im vergangenen Monat. Jerome Davidson, Rabbiner von Beth-El Synagoge in Great Neck ist Mitglied des Ausschusses der Konferenz zum Thema Mischehe. Er hoffte, auf der Tagung einen Entwurf vorlegen zu können, in dem die Organisation aufgerufen wird, Trauungen von gemischten Paaren durch Rabbiner zu dulden: Solange der nichtjüdische Partner keinen anderen Glauben ausübt und das Ehepaar sich bereit erklärt, ein jüdisches Leben zu führen. Das entspricht dem von den meisten Reformrabbinern geforderten Standard, die Mischehen schließen.
Davidson und seine Kollegen wußten jedoch, daß das Thema immer noch zu umstritten ist, als daß der Entwurf ohne weiteres angenommen würde, und verschoben die Resolution bis zur nächsten Tagung im März 2007. Auch dann wird es schwierig sein, sie durchzubekommen. Doch die Sache ist am Köcheln. Anders als ihre orthodoxen und konservativen Kollegen, die keine gemischten Paare trauen dürfen, wird Reformrabbinern zwar davon abgeraten, doch verboten ist es ihnen nicht.
1973 sprach sich die CCAR in einem Tagungsbeschluß gegen die Teilnahme von Mitgliedern an Zeremonien aus, die eine Mischehe begründen. Der Beschluß verpflichtete jedoch keinen Rabbiner, diese Politik zu befolgen. Die Folge ist, daß Reformrabbiner – genauso wie Rekonstruktioni- sten, Humanisten und keiner Richtung angehörige Rabbiner – von Fall zu Fall entscheiden müssen, ob sie gemischte Paare trauen. Viele halten dies für eine der schwierigsten Entscheidungen in ihrem Amt.
»Die Frage der Trauung von gemischten Paaren ist sehr heikel«, sagt Rabbiner David Ellenson, Präsident des Hebrew Union College (HUC) in New York. »Es ist das einzige Mal, wo wir Nein sagen.« Aber »Nein« ist kein populäres Wort in den Gemeinden. Obwohl es keine festen Zahlen gibt, wird es geschätzt, daß die Hälfte von Rabbinern einer Mischehe zustimmen würden. Und jedes Jahr werden es mehr.
Die meisten geben eher dem Druck seitens ihrer Gemeindemitglieder, von denen selbst viele in Mischehen leben, nach, als daß sie sich auf theologische Gründe beriefen. Rabbiner, die an der Tagung teilnahmen, meinten, der Umschlagpunkt sei erreicht. Bei der Hälfte aller neu geschlosse- nen jüdischen Ehen gehöre ein nichtjüdischer Partner dazu und Reformrabbiner, die keine Mischehen schließen wollen, geraten in die Defensive.
»Es wird immer schwieriger, als Reformrabbiner keine Mischehen zuzulassen«, sagt Rabbiner Howard Jaffe aus Lexington, Massachusetts. Auf der anderen Seite merken Rabbiner, die gemischte Paare trauen, daß sie endlich offen über ihren Standpunkt sprechen können. »Wir müssen realistisch sein«, sagt Rabbiner Stephen Pearce aus San Francisco. Gemischte Paare von der Synagoge wegzuschicken sei für die Gemeinden »von großem Nachteil«. Einige Reformrabbiner glauben, die Zeit sei reif, daß die CCAR die herrschende Praxis in angepaßter Form akzeptiert. »Wir leben in einer neuen Epoche des amerikanisch-jüdischen Lebens«, betont Davidson. Der 1973er Beschluß, der den Rabbinern abriet, Mischehen zu schließen, gründete auf der Annahme, daß diese Ehen »ausnahmslos zur Assimilation führten«. Die wachsende Anzahl nichtjüdischer Ehepartner, die sich den Reformgemeinden anschließen und ihre Kinder jüdisch erziehen, widerlege diese Annahme, sagt der Rabbiner. »Wir sollten bereit stehen, wenn ein Ehepaar sein gemeinsames jüdisches Leben beginnt, vorausgesetzt, wir glauben, daß es tatsächlich ein jüdisches Leben ist«, sagte er.
Andere, wie Rabbiner Steven Fox, neu gewählter Vizepräsident der Konferenz, glauben, die Zeit sei noch nicht reif. Die CCAR sollte Einigkeit unter den Reformrabbinern herstellen, statt eine Politik vorzugeben, die Uneinigkeit stiftet, sagt Fox und fügt hinzu, daß die Rabbiner, die bei gemischten Paaren keine Trauungen vornehmen, wegen ihrer zunehmend unpopulären Entscheidungen »Unterstützung brauchen«.
Selbst viele Rabbiner, die Mischehen schließen, sagen, es sollte eine individuelle Entscheidung bleiben und nicht die Politik der Bewegung sein.
Nach zwei Jahrzehnten, in denen Rabbinerin Judy Shankssie keine Trauungen bei gemischten Paaren vollzog, sagt, daß sie 2003 ihre Meinung geändert habe, und zwar aufgrund ihrer »Bewunderung für die Nichtjuden in unserer Gemeinde, deren Selbstlosigkeit, Hingabe und Engagement für die Schaffung eines jüdischen Lebens dem Synagogenleben neue Kraft verliehen«.
Es sei ihr bewußt geworden, sagt sie, »daß ich zu Beginn jedes wichtigen Lebensabschnitts für diese Menschen da sein will, die danach streben, ein Teil von uns zu werden«. Sie habe aber diese Entscheidung nur für sich selbst getroffen.
Was sich in den Diskussionen auf der Tagung herauskristallisierte, war, wie sehr sich die Gründe, die Rabbiner nennen, ähneln – ganz gleich, ob sie sich pro oder kontra entscheiden. »Diejenigen von uns, die gemischte Paare trauen, glauben, daß so das Judentum gestärkt wird. Diejenigen von uns, die es nicht tun, glauben das gleiche«, sagt Rabbiner Alvin Sugarman. Einige argumentieren, die Ablehnung von Mischehen habe dazu geführt, daß der nichtjüdische Ehepartner später konvertierte. Andere sagen, daß gerade die Trauung und die uneingeschränkte Annahme des gemischten Ehepaars gleich am Anfang dazu führe, daß viele nichtjüdische Ehepartner schließlich konvertierten. Viele stimmten jedoch darin überein, daß die Trauungsdebatte sich zu sehr auf den einen, vielleicht gar nicht mal wichtigsten, Schritt konzentrieren. Die entscheidende Frage sei: Was eine gemeinsame jüdische Lebenreise sein sollte?
Um Rabbinern zu helfen und sich über den Ablauf der Hochzeitszeremonie bei Mischehen zu informieren gibt es seit einigen Jahren ein Internetportal www.InterfaithFamily.com das auf der Tagung präsentiert wurde. Auf der Website wird dem-
nächst ein Informationszentrum eingerichtet. Ob ein Rabbiner solche Trauungen vornehmen soll oder nicht, sei nicht die Frage. Wie Rabbiner den Mischehepaaren dabei helfen, sich am jüdischen Leben zu beteiligen, sei wichtiger.

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