Wörter und Bilder sind im Alltag stets präsent und beeinflussen alle, die sie ansehen. Wie gezielt dieser Effekt von den NS-Medien eingesetzt wurde, machte eine Veranstaltung am Vor-
abend des 9. November im Hubert-Burda-Saal des Gemeindezentrums deutlich: Der Schauspieler und Künstler Stefan Hunstein sprach unter dem Titel »Die Sprache bringt es an den Tag« über sein Verhältnis zur deutschen Geschichte, zur Fotografie, zum Theater und dem Umgang der Unterhaltungsindustrie mit der jüngeren Geschichte. Eindrucksvolles Anschauungsmaterial dazu bietet eine Fotoausstellung Hunsteins im Foyer des Gemeindezentrums, die noch bis Mittwoch, 25. November, zu sehen ist. Eingeladen zu dem Abend hatten Roland Berger Strategy Colsultants und die Israelitische Kultusgemeinde.
Video Kurz nach Betreten des Saals sahen die Besucher eine nahezu verwirrende Vielfalt zufälliger Fotos, die in einer Videoschleife auf der Leinwand liefen. In einer Geschwindigkeit, bei der man nicht wegsehen konnte und die kein genaueres Betrachten ermöglichte. Als IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch ans Rednerpult trat, war die Vorführung der Videoarbeit von Stefan Hunstein beendet. Die Hausherrin begrüßte die Anwesenden, unter ihnen viele namhafte Persönlichkeiten Münchens. Die Bedeutung der Erinnerung an den 9. November 1938 unterstrich Charlotte Knobloch an diesem Abend noch ganz unter dem Eindruck der aktuellen Schändung der neuen Dresdner Synagoge.
Wie schwer Erinnerung sein kann, zeige das Beispiel von Paul Celan, aus dessen Werk Hunstein las. Celan, so Knobloch, sei an der Last dessen, was er erleben und erleiden musste, zerbrochen. Ihr Appell: »Wir dürfen nicht vergessen, wir müssen die Gegenwart bewältigen, und wir sollen uns gemeinsam auf die Zukunft freuen.«
wirkung Stefan Hunstein beschäftigt sich seit Langem mit dem Thema Fotografie – und mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Anders als in dem vorgetragenen Text von Thomas Bernhard, in dem Fotografien als Verfälschungen abgelehnt werden, sucht er die Tendenzen in den Fotografien herauszu- arbeiten. So stellt er die Propaganda in den ausgestellten Arbeiten bloß. Ein Beispiel dafür sind in Passepartouts gefasste Fotoausschnitte. Die Originale, die Hitler mit Kindern sollten Sympathie erwecken. Hunsteins Details entlarven die gestellte Szenerie. Die Fotos der toten Augen der hingerichteten Heydrich-Attentäter, deren Originale sich im Tschechischen Militärarchiv befinden, erschrecken. Die fotografischen Arbeiten Hunsteins würdigte an diesem Abend die Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Bonn, Anne Marie Bonnet. Doch nicht nur auf die Bildsprache ging Stefan Hunstein an diesem Abend ein. Der 9. November ist für ihn eine Schnittstelle in der Entwicklung des »Dritten Reiches«. Ebenso, wie die herausgearbeiteten Details in den Fotografien Mosaiksteine für ein Gesamtbild sind, gelte das auch für das Medium Sprache. Diese »ist gebunden an einen Körper und braucht einen Adressaten«. Das gesprochene Wort entwickle Präsenz – in der Sprache seien alle Zeitalter anwesend. Im Theater bekomme Sprache eine Gestalt – diejenige des Dichters und die des Schauspielers.
gegenwart Sprache und Fotografie sind für Hunstein »Fundstücke unseres kulturellen Erbes«. Beim Betrachten der Geschichte des Nationalsozialismus gehe es nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch um die Gegenwart. Während die 70er-Jahre durch Aufbruch und Utopie gekennzeichnet waren, macht sich heute eine Neigung breit, vieles zu relativieren. Hun-
steins Aufforderung: »Wir müssen neue Zugänge zur Geschichte entwickeln. Wir müssen Widersprüche gegen das Vergessen entwickeln.« Dass dies auch und gerade mit der Sprache und in der Gedankenwelt großer Denker und Dichter möglich ist, belegte Stefan Hunstein eindrucksvoll im zweiten Teil des Abends. Er las aus dem Werk Paul Celans – aus dessen Ansprache anlässlich des Literaturpreises der Stadt Bremen 1958 und mehrere Gedichte wie das fiktive »Gespräch im Gebirg«.
Anliegen Dass die negativen Seiten der Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten und die Zukunft die Menschenwürde als wichtigen Grundwert schätzt und hochhält, ist eines der großen Anliegen des Mitveranstalters des Abends, des Unternehmers Roland Berger. Die Eindrücke seiner Kindheit, als Gestapo-Leute seinen Vater immer wieder überwachten und ihn schließlich nach Dachau deportierten, haben ihn geprägt. Deshalb hat er nicht nur diesen Abend unterstützt. Er hat auch eine weltweite Stiftung ins Leben gerufen – verbunden mit einem Preis für Menschenwürde und mit Stipendien, die Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Schichten fördern soll.
Ziel der Stiftung, die Berger an diesem Abend vorstellte ist die Förderung und der Schutz von Menschenwürde und Menschenrechten in einer weltweit offenen und friedlichen, vom Gedanken der Völkerverständigung und Toleranz getragenen Gesellschaft.
Über diesen Beitrag zu einem »Nie wieder« und die vielen Anregungen aus dem Vortrag von Stefan Hunstein sprachen die Gäste noch lange beim anschließenden Get together im Foyer.