»Touristen-Guide werde ich wohl nicht mehr.« Kaum ausgesprochen, zupft Rabbiner Avichai Apel einem Herrn seiner Gruppe am Ärmel. »Die gleichen Souvenirs kriegen sie woanders viel billiger«, verspricht der gebürtige Jerushalmi. Dass der Verkäufer angesichts des verlorenen Handels keinen glücklichen Eindruck macht, nimmt der Dortmunder Rabbiner achselzuckend zur Kenntnis. »Man könnte mich so etwas wie einen Insider nennen«, erklärt er beinahe geheimnisvoll, und mahnt die im Basar verstreute Gruppe zur Eile. Es gilt den richtigen Zeitpunkt für den Besuch der Klagemauer zu erwischen. Die Quader der Westmauer erstrahlen besonders schön im Schein der untergehenden Sonne. Aber um Ästhetik geht es nicht, verrät Apel. Es gehe vielmehr um die Verbindung mit der eigenen Geschichte, die am Überrest des Tempels greifbar werde. Alles andere sei nur fürs Auge.
Sina wird sprachlos und scheint verwirrt. Kurz zuvor war sie noch mit einem Mann im schwarzen Kaftan und Hut in einem lebhaften Gespräch verwickelt. Auf Jiddisch, ihrer Muttersprache. Nun sind die Falten aus dem Gesicht der Mittsechzigerin wie verschwunden. »Wenn meine Großeltern das gewusst hätten«, murmelt sie kaum hörbar. Dann entschuldigt sie sich, steigt langsam die Treppen hinunter und verschwindet bald in der Menschenmasse vor der heiligen Stätte.
»Ich glaube, dass es vielen aus unserer Gruppe so ergeht«, erklärt der Rabbiner etwas abseits. Sein Blick schweift von einem Mitglied zum Nächsten. Jeder scheint mit seinen Gedanken beschäftigt zu sein. Natürlich, in den beiden kommenden Wochen werden viele Sehenswürdigkeiten auf dem Pogramm stehen. »Aber unsere Gemeindemitglieder werden einen Teil ihrer persönlichen Geschichte entdecken. Für einige wird es möglicherweise der erste Kontakt überhaupt mit dem Judentum sein.« Und für ihn als Rabbiner? Keine Frage. »Wir werden in Dortmund als Gemeinde von unseren Senioren hier – so hoffe ich – profitieren.«
Hinter der Brüstung der Haas-Promenade zeigt sich ein herrliches Panorama. Die Sicht ist heute ausgezeichnet. Kein Smog, kein vom Wüstenwind aufgewirbelter Sand versperrt die Sicht auf die Jerusalemer Altstadt. Am Horizont zeichnet sich sogar das Gebirge jenseits des Toten Meeres auf jordanischer Seite ab.
»Mein Eindruck ist, dass es ein voller Erfolg war«, sagt Micha Dogman einen Tag vor dem Abflug, an dem man noch einmal nach Jerusalem zurückgekehrt ist. Kaum ein touristisches Highlight wurde ausgelassen, kaum eine Ecke des Landes nicht entdeckt. Micha Dogman wird noch einmal ernster, denkt kurz noch einmal nach. »Dass es ein voller Erfolg sein wird«, korrigiert Dogman sein Resümee zu einer Hoffnung um. »Ich wünschte, dass unsere Mitglieder nun vielleicht mehr ihre Kinder und Enkel motivieren.« Und das vielleicht die neu gewonnene Perspektive auf das eigene Verständnis vom Jüdischsein normalisiert hat. »Hier kann man sich jüdisch fühlen, mit dem Wissen, dass es nicht falsch ist. Vielleicht können wir von diesem Land und seinen Menschen lernen.
Sina sieht es ähnlich. Aber sie ist müde. Und sie freut sich auf das Bett daheim. »Ich wünschte, man könnte zu Hause schlafen und tagsüber in Israel sein.« EinEin Traum, der unerfüllt bleiben wird. Dafür wird sie wie immer am Schabbat in die Gemeinde kommen. Auf Jiddisch tratschen. Und beten. So wie zuletzt – in Jerusalem. Ronen Guttman
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