von Jan Opielka
Artur Hofman hat vor einiger Zeit ein Experiment gemacht. Fast ein Jahr lang hörte er den katholisch-fundamentalistischen Radiosender »Maryja« des Paters Rydzyk. »Mein Motto war: Lerne die Sprache deines Feindes kennen«, sagt der Theaterregisseur leicht ironisch. Seit einem Jahr ist er Vorsitzender der größten jüdischen Organisation Polens, der TSKZ (Sozialkulturelle Gesellschaft der Juden). Beim Hören des berüchtigten Senders habe er, anders als gemeinhin angenommen, kaum antisemitische Tiraden vernommen. »Zu 90 Prozent sind das absolut religiöse, langweilige Sendungen. Nur manchmal, wenn ältere Hörer anrufen und sich über ihre soziale Lage beschweren, da sagen sie: ›Das ist doch klar, die Juden regieren ja.‹« Doch wirklich ernst nimmt Hofman dies nicht. »Pater Rydzyk und sein klerikaler Sender werden überbewertet«, findet er. Die meisten Hörer sind ältere Menschen, die wählen sowieso mehrheitlich die Regierungspartei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) der Kaczynski-Zwillinge Jaroslaw und Lech.
Aus Sicht der Juden in Polen wäre es daher wohl auch gut, wenn die PiS abgewählt würde – so lautet die landläufige Meinung in Deutschland. Denn tatsächlich sympathisieren Teile der rechtskonservativen Kaczynski-Gruppierung durchaus mit nationalistischem Gedankengut und dem erz- klerikalen Katholizismus, der mitunter als latent antisemitisch gilt. Doch versichern Vertreter der wichtigsten jüdischen Organisationen Polens: Alles halb so schlimm.
Die TSKZ wurde bereits 1950 gegründet und hat seither ununterbrochen bestanden. Mit Niederlassungen in fast 20 Städten ist sie die größte jüdische Vereinigung im Land, viele der rund 2.500 Mitglieder sind ältere Menschen. Die TSKZ organisiert das kulturelle Leben der Juden in Polen und repräsentiert ihre Mitglieder nach außen. Ihr religiös-orthodoxes Pendant ist der »Verband der jüdischen Konfessionsgemeinden der Republik Polen«. Der wurde erst 1993 gegründet und ist manchmal »auch ein wenig Konkurrenz«, gesteht Hofman augenzwinkernd.
»Die meisten Juden in der TSKZ gehören von ihrer politischen Einstellung her eher zum Zentrum«, sagt er. Die Orientierung hänge freilich wie im Rest der Gesellschaft mit der sozialen Stellung zusammen. Ältere Juden hätten grundsätzlich eher einen Hang zur Linken, deshalb würden die meisten von ihnen wohl auch das Mitte-Links-Bündnis LiD (Linke und Demokraten) wählen, meint Hofman. Anders sehe es hin- gegen bei den Jüngeren aus. Ein großer Teil von ihnen, vermutet Hofman, werde ihre Stimme wohl der rechtsliberalen Bürgerplattform (PO) geben, doch einige sicherlich auch der PiS. Die Regierungspartei habe vor allem mit dem Kampf gegen die Kor- ruption ein Programm, mit dem viele sympathisierten. »Ich kenne aber auch Juden, die schon bei den letzten Wahlen für die PiS gestimmt haben und meinten, sie würden dadurch die Pest mit der Cholera austreiben.« Eines aber sei klar, betont Artur Hofman: »Der Premier und sein Präsidentenbruder sind sicher keine Antisemiten.«
Piotr Kadlcik, der Vorsitzende des Landesverbands der Konfessionsgemeinden, hebt hervor, dass es vor allem Präsident Lech Kaczynski gewesen sei, der den geplanten Bau des jüdischen Museums in Warschau propagiert habe. Bereits in seiner Amtszeit als Oberbürgermeister der Hauptstadt habe Kaczynski die ersten 20 Millionen Zloty für die Museumsplanung bewilligt. »Ohne diese Entscheidung wäre das Projekt nicht zustande gekommen«, meint Kadlcik. Klare Parteipräferenzen der jüdischen Gemeindemitglieder sieht Kadlcik nicht. »Jeder entscheidet für sich, jeder hat seine eigene Meinung.«
Die guten Erfahrungen mit der derzeitigen Regierung bestätigt auch Wlodzimierz Kac, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Katowice. Er moniert allerdings die Nähe der Kaczynskis zu Pater Rydzyk. »Als Verband äußern wir uns nicht bei verletzenden Aussagen von Rydzyk, obwohl wir es vielleicht manchmal tun sollten«, formuliert Kac vorsichtig. Auf lokaler Ebene, wo seine Gemeinde in etlichen Städten sowohl mit PiS- als auch mit PO-Politikern zusammenarbeite, seien die Beziehungen »meistens sehr gut«. Auch gebe es gemeinsame Treffen und Veranstaltungen mit den Kirchen. Das Mitspracherecht seiner Vereinigung in regionalen jüdischen Angelegenheiten, wie zum Beispiel der Pflege von Friedhöfen, sei sehr groß, sagt Kac. »Manchmal scheint mir, es ist größer, als es unsere bloße Zahl eigentlich anzeigen würde.« Auch TSKZ-Chef Hofman spricht von einem guten Umgang mit den Juden in Polen, und das auf allen Regierungs- und Verwaltungsebenen. »Letztes Jahr hat Lech Kaczynski Vertreter jüdischer Organisationen zum Chanukka-Fest in den Präsidentenpalast geladen, und wir haben gemeinsam die Kerze angezündet.« Diese Geste »zeige doch etwas«, meint Hofman.
Wie viele diplomatische Töne gegenüber den Warschauer Regierenden in den Aussagen von Hofman, Kac und Kadlcik mitschwingen, ist nicht auszumachen. Schließlich erhält die TSKZ seit 1997 Gelder von der Regierung, die allerdings gesetzlich verbürgt sind. Doch zugleich wird in Gesprächen mit den jüdischen Vertretern deutlich: Das Verhältnis der polnischen Politik gegenüber den Juden im Land ist sehr entspannt. Man rede immer so viel über Politik, sagt Hofman, doch die »gesellschaft- lichen Erscheinungen« seien viel interessanter«. Sowohl er als auch Kac sprechen unabhängig voneinander von einem steigenden Interesse an jüdischer Kultur, Ge- schichte und an der jiddischen Sprache – vor allem unter nichtjüdischen Polen.