kiddusch

Wehret dem Fressen!

Ich bin in Baden, einer kleiner jüdischen Gemeinde aufgewachsen. Am Schabbatmorgen sind etwa 15 Juden in die Synagoge gekommen. Die Toilettenschüssel war eiskalt und manchmal haben sich Vögel in die Synagoge verirrt.
Der Kiddusch war sehr einfach. Es gab Kaffee, Orangen und Salzbrezeln. Häufig wurden Kuchen aufgetischt, vom jüdischen Altersheim in der Nähe gebacken. Die trockenen Kuchen waren eigentlich nur mit Kaffee genießbar. Fast immer standen zwei Schälchen mit Salznüssen auf den Tischen. Ein alter Mann, Herr Guggenheim, griff immer mit beiden Händen rein. Wir nannten ihn »Nüssli-Guggenheim«. Möge er uns verzeihen.
Baden war sehr idyllisch. Als ich erwachsen wurde, lockte mich die größte jüdische Gemeinde in der Schweiz: Zürich. Hier ging es ab! Ola! Der Unterschied zwischen Baden und Zürich ist so groß wie zwischen einer Dorfdisco und der Love-Parade. Jeden zweiten Schabbat findet in Zürich ein Kiddusch-Event der Sonderklasse statt. Zum Beispiel eine Barmizwa: Auf zehn großen Tischen liegen tausend kleine Fresshäppchen. Heiße Speisen werden herumgereicht, der Wein fließt in Strömen, und auf den Kindertischen locken Bissli, Bamba und Konsorten. Man kann hier essen bis zum Abwinken. Es werden immer wieder neue Ku- chentabletts reingetragen.
Als Lehrer, als Vater und als kritischer Beobachter werde ich immer wütend, wenn ich von solchen Fressgelagen höre. Ich gehe seit einem Jahr zu keinem größeren Kiddusch mehr. Was man dort erlebt, widerspricht in so vielen Punkten der jüdischen Religion: Kinder balgen sich um Törtchen, Frauen schieben sich gefräßig die zehnte Praline in den Mund, und überall sieht man neidische Blicke. So etwas stößt mich zutiefst ab.
Meine Frage: Warum kann man nicht einfach ein paar Flaschen Traubensaft öffnen und etwas Obst und Kuchen verteilen? Das Judentum ist doch eine Religion der Zurückhaltung und keine Dekadenz-Veranstaltung. Noch nie habe ich bisher gehört, dass jemand das viele Geld, das für den Kiddusch draufgeht, an eine bedürftige Institution spendet. Leider habe ich auch noch nie von einem Rabbiner oder Gemeindevorsitzenden ein Wort der Mäßigung vernommen.
Kürzlich sprach ich mit einem jüdischen Zahnarzt. Er zeigte sich entsetzt, als wir über den Kiddusch sprachen. Vor allem Kinder bereiten ihm viel Arbeit. »Ich bekomme immer wieder Gruselzähne zu sehen«, sagte er zu mir, »die Kinder stürzen sich ungebremst auf die Süßigkeiten und putzen sich wegen Schabbat nicht die Zähne.«
Den Kindern kann man nicht böse sein; wer freie Wildbahn hat, der nutzt sie aus. Es sind eher die Eltern, die ihrer Pflicht nicht nachkommen. Und es sind die Veranstalter von solch überflüssigen Kidduschs, die gerügt werden müssen.
Man kann seine Freude über die Barmizwa seines Sohnes auch anders artikulieren. In Baden zum Beispiel hat jemand der Gemeinde zwanzig Gebetbücher gespendet – aus Anlass der Barmizwa-Feier. Überhaupt verstehe ich nicht, warum immer nur für Tote gespendet wird. Eine Torarolle als Erinnerung an den verstorbenen Herrn Blum, ein neuer Vorhang an- lässlich der Jahrzeit von Frau Kornblum und ein Schofar im Gedenken an Herrn Rosenblum. Ich wäre stolz gewesen, wenn meine Eltern eine Toiletten-Heizung in meinem Namen gespendet hätten: »In warmer Erinnerung an die Barmizwa unseres Sohnes«. Beni Frenkel

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