von Bettina Stuhlweißenburg
»Gesicht zeigen« lautet das Motto der diesjährigen, nunmehr 56. Woche der Brüderlichkeit. Der gesellschaftliche Auftrag hat bis heute nichts von seiner Dringlichkeit eingebüßt: »Solange die jüdischen Gemeinden in Deutschland unter Polizeischutz stehen, stimmt etwas nicht«, erklärte Abi Pitum, der jüdische Vorsitzende der Münchner Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit bei der Auftaktveranstaltung im Saal des Alten Rathauses. Pitum zitierte sozialwissenschaftliche Erhebungen, nach denen zwischen 15 und 20 Prozent der Deutschen antisemitische Einstellungen besitzen.
Auch Staatssekretär Otmar Bernhard, der für die Bayerische Staatsregierung gekommen war, betonte die Wichtigkeit, »Verantwortung zu übernehmen und einzutreten für das Recht, anders zu sein«. Gesicht zeige aber auch die jüdische Gemeinde München, die mit dem Bau ihres neuen Zentrums am Münchner Jakobsplatz deutlich mache, daß sie wieder in der Mitte der Gesellschaft ist, fügte Bernhard hinzu.
Oberbürgermeister Christian Ude stellte in dem »historisch belasteten« Saal, in dem einst Joseph Goebbels zur Reichspogromnacht aufrief, die Frage, wie es dazu kommen konnte, daß die Bürger und insbesondere die Kirchen, die doch eigentlich andere Verhaltensweisen predigten, den Verbrechen der Nazis stillschweigend zugesehen haben. Und er appellierte: »Erinnerung darf nicht nur in Gedenken bestehen, sondern muß das Versagen der Ge- sellschaft hinterfragen.« Dieser Aufgabe werde sich das künftige NS-Dokumentationszentrum in München stellen.
Bischof Wolfgang Huber, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, näherte sich aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen von der theologisch-philosophischen Seite. Vor dem Hintergrund des Karikaturenstreits legte er dar, daß mangelnde Sensibilität für Religiosität weit hinter den Anforderungen unserer Zeit zurückbleibt: »Gerade weil Pluralismus und Freiheitsrechte der strafrechtlichen Verfolgung von Angriffen auf religiöse Überzeugungen enge Grenzen setzen, wird dies zu einem wichtigen Thema des publizistischen Ethos werden.«
Huber betonte genau wie Ude die Notwendigkeit, den interreligiösen Dialog auf die Muslime auszuweiten. Der beruhigende, die gemeinsamen Wurzeln betonende Titel der »abrahamitischen Religionen« dürfe keinesfalls blind machen für das Konfliktpotential, das in ihrem Verhältnis zueinander enthalten sei.
Der Bischof mahnte: »Unser Verständnis für das Gespräch zwischen den einander fremd gewordenen Kindern Abrahams, für eine tragfähige soziale Ordnung, die auch das Fremde, Andersartige als Gabe und Aufgabe begreift, bemißt sich daran, ob es uns gelingt, die von Gott gelegte Spur als verpflichtende Einladung für unseren eigenen Weg zum Anderen hin zu begreifen.«
Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von Kantor Avishai S. Levin, der – begleitet von Luisa Pertsovska – eindrucksvoll das Bild der »Stadt aus Gold« mit dem Lied »Jeruschalajim Schel Sahav« beschwor.