von Jonathan Scheiner
»Immer wenn ich nach Deutschland komme, muss ich zuallererst ein Wiener Würstchen essen«, erzählte Chaya Czernowin, als sie noch in Kalifornien lebte. Inzwischen ist die israelische Komponistin ausgerechnet in die Stadt übersiedelt, wo die Wiener Würstchen herkommen: An der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien hat sie eine Professur bekommen. Es ist der Höhepunkt einer Komponistenkarriere, die mit einem Musikstudium in Tel Aviv begann und über Stationen in Berlin und Tokio nach San Diego führte, wo Czernowin bisher lehrte. Ihr nicht umfangreiches, aber in der Fachwelt hoch anerkanntes Werk hat die Komponistin bei Konzerten in Europa, den Darmstädter Ferienkursen oder der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart vorgestellt. Zurzeit ist Chaya Czernowin in Berlin, wo am 17. März im Berliner Konzert- haus ihr neues Stück Maim zamim, maim gnuvim (Fremdes Wasser, gestohlenes Wasser) uraufgeführt wird, ein Triptychon für großes Orchester, Solistenquintett und Live-Elektronik. Das Festival Maerzmusik ehrt damit die Komponistin zu ihrem 50. Geburtstag.
Chaya Czernowin kommt aus Kiriat Bianik, einem Vorort von Haifa, wohin ihre Eltern aus Polen immigrierten. Der Vater, der seine ganze Familie während des Holocaust verloren hat, stammte aus dem polnischen Ort Brok, die Mutter aus Sarne, einem Dorf, das entweder in Polen oder in Weißrussland liege. So genau weiß Chaya Czernowin das nicht. Sie habe ein wunderbares Verhältnis zu ihren Eltern, aber trotzdem habe eine gewisse Stille zwischen Eltern und Kind geherrscht. Sie sei eine typische Repräsentantin der zweiten Post-Schoa-Generation. David Grossmans Stichwort: Liebe ist deshalb eines ihrer Lieblingsbücher, sagt sie. Der Roman spiegele die Zerrissenheit einer ganzen Generation, die Unfähigkeit zur Kommunikation zwischen Holocaust-Überlebenden und deren Kinder. Es gehe um die Frage, wie die Alten ihre traumatischen Erfahrungen, die sie in ihrem Inneren eingekapselt haben, um weiterleben zu können, ihren Kindern überhaupt mitteilen können.
Auch Chaya Czernowin hat diesen Konflikt in einem ihrer zentralen Werke thematisiert. Pnima ... ins Innere wurde 2000 bei der Münchener Biennale für zeitgenössische Musik uraufgeführt. Das Stück erhielt den Bayerischen Theaterpreis und wurde von der Fachzeitschrift Opernwelt als »Beste Uraufführung« des Jahres ausgezeichnet. Die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen wird mit drastischen Mitteln in Szene gesetzt. Auf der Bühne stehen nur zwei Figuren, ein Großvater und sein Enkel, die während des gesamten Stücks kein einziges Wort miteinander reden. Pnima ... ins Innere ist eine sprachlose Oper. Und selbst die Sprache der Instrumente ist radikal dissonant. Zudem werden die gesanglich-stimmlichen Äußerungen des Großvaters wie des Enkels auf jeweils drei Sänger verteilt – ein Vexierspiel um Identität und originale Stimmführung.
Maim zarim, maim gnuvim steht in der Tradition von Pnima ... ins Innere. Auch hier zeigt sich Czernowins Lust an abseitiger Instrumentierung. »Ich liebe es, neue Klänge und neue Kombinationen von Instrumenten zu entdecken«, sagt sie. »Das Stück handelt von Wasser, das von klaren hellen Klängen repräsentiert wird, die von Gitarre, Klavier und einer Musette erzeugt werden. Um ein möglichst breites Klangspektrum zu erzielen, habe ich ein Instrument gesucht, das vor allem tiefe Töne produziert. Also bin ich auf das Tubix gestoßen, das Kontrabass-Saxofon.« Doch das Tubix taucht nicht nur live einmal auf, sondern wurde außerdem achtstimmig aufgezeichnet. In dieser Vielstimmigkeit bewegt es sich nun zwischen einem Solistenquintett und dem großen Orchester. Die Flüchtigkeit des einzelnen Tubix-Klangs wird dadurch zum Synonym für Wasser.
Der erste Teil des Triptychons wurde bereits 2002 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt. Schon damals waren in das ursprüngliche Konzept des Stücks, sich kompositorisch mit der Beweglichkeit und diffusen Konsistenz von Wasser auseinanderzusetzen, politische Ereignisse eingeflossen: die zweite Intifada und die New Yorker Anschläge vom 11. September 2001. So wurde schließlich ein Stück daraus, das die Komponistin in ihrer Rolle als politischen Akteur hinterfragt. Sowohl der erste Teil Maim zarim, maim gnuvim als auch der 2005/2006 erarbeitete dritte Teil der Komposition Mei Mecha (Wasser des Widerspruchs) sind von der politischen Situation ihrer jeweiligen Entstehungszeit geprägt. Politisch will Chaya Czernowin ihre Musik dennoch nicht verstanden wissen: »Ich würde sagen, dass jede Musik politisch ist, die die Macht besitzt, eine politische Position zu vertreten. Trotzdem empfinde ich Musik, die mit politischen Parolen arbeitet, als lächer- lich und platt. Ich würde mich von daher nicht als politische Komponistin betrachten.«
Ebenso wenig will die Israelin sich als »jüdische Komponistin« einordnen lassen: »Begriffe wie ›jüdisch’ oder ›israelisch’ sind etwas für Zeitungen, die das Schubladendenken brauchen.« Wobei Chaya Czernowin dann aber doch etwas differenziert: »Allerdings beschäftige ich mich nun schon seit zehn Jahren mit dem Thema Dialog und das ist nun wirklich ein typisch jüdisches Thema. Meine Denkweise ist typisch jüdisch, weil ich alles in Frage stelle. Insofern bin ich eine jüdische Komponistin.«
Die Uraufführung von »Maim zarim, maim gnuvim« findet am 17. März im Konzerthaus Berlin statt. www.berlinerfestspiele.de
»Pnima...ins Innere« ist als DVD 2006 bei Mode Records/Sunny Moon erschienen.