von Brigitte Jähnigen
Die Schätze des Judentums wiederbeleben und sie der jungen Generation weitergeben: Dieses Ziel verfolgen die dritten Jüdischen Kulturwochen, die am Montag im Stuttgarter Rathaus eröffnet wurden. Veranstalter ist die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) in Kooperation mit der Volkshochschule Stuttgart und dem Kulturamt der Stadt.
Die Jüdischen Kulturwochen könnten ein Beitrag für »den gleichberechtigten Dialog auf Augenhöhe« sein, sagt Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, bei der Eröffnung im vollbesetzen Großen Saal des Rathauses. Das Interesse an jüdischem Glauben und Kultur sei beim nichtjüdischen Teil der Gesellschaft gewachsen, betont Knobloch in ihrem Grußwort. »Wer sich kennt, der respektiert sich.«
»Jüdisch sein – was ist das?« heißt dann auch das Motto der bis zum 28. November dauernden Kulturwochen. »Jüdisch sein – was ist das?« lautet zugleich eine Frage, die sich die Gemeinden durch die Zuwanderung vor Ort täglich neu beantworten müssen.
»Russische Juden sind stolz auf ihre jüdische Identität, die nicht religiös war«, sagt Sergey Lagodinsky in der Podiumsdiskussion am Eröffnungsabend. »Religion war amodern im Kommunismus«, fährt der Publizist und Weltbürger aus Rußland fort. Der Vorwurf, der den Zuwanderern in den deutschen Gemeinden häufig gemacht werde, keine Juden zu sein, treffe sie schwer; sie fühlten sich abgewiesen. »Das ist eine Dekonstruktion der Identität und ein großes Dilemma«, stellt Lagodinsky klar. Denn der Konflikt um die Religion gefährde den Zusammenhalt in den Gemeinden, trotzdem müsse die Religion ihre Kontinuität wahren. »Russische Juden haben sich immer als volkszugehörig verstanden, da ist nichts zu machen«, sagt Lagodinsky.
Mit dieser Betrachtungsweise gibt sich Dieter Graumann, Vizepräsident des Zentralrats der Juden und Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, jedoch nicht zufrieden. »Judentum ist kein Kultur- oder Sportverein, das ist nun mal Religion, und Israel ist das einigende Band aller Juden, auch der nichtreligiösen.« Israel sei der einzige Staat der Welt, dessen Existenz in Frage gestellt sei, betont Graumann in der Diskussion. Sich allerdings – vor allem nach der Schoa – nur als Opfergesellschaft zu definieren, reiche nicht aus. »Wir müssen die Schätze des Judentums wiederbeleben und an unsere Kinder weitergeben«, fordert Graumann unter dem Beifall der Zuhörer im Saal.
Heiterkeit erntet der Oberrabbiner der Wiener Gemeinde, Paul Chaim Eisenberg, mit seiner Antwort auf »Jüdisch sein – was ist das?« Das Wort Jude stamme von Juda, dem Sohn von Jakob und Lea ab, erzählt er. Lea habe mit der Namenswahl für ihren Sohn Gott danken wollen. »So betrachtet ist Barbara Traub, die Vorstandssprecherin der IRGW, eine echte Jüdin, denn sie hat in ihrer Begrüßungsansprache minutenlang all denen gedankt, die sich am Zustandekommen der Kulturwochen beteiligen«, sagt Eisenberg.
Das Judentum sei eine Religion und ein Volk, betont der Gast aus Wien. »Man kann also auch als Nichtreligiöser den ganzen Tag über etwas Jüdisches tun, auch wenn das den Rabbiner nicht happy macht.« Freilich könne man zum Judentum konvertieren, aber nur zur Religion, nicht zur Tradition und Kultur. »Ich habe gelernt, daß es viele Möglichkeiten gibt, Judentum zu leben, wir wollen niemanden ausgrenzen«, sagt Eisenberg.
Die Frage »Was ist jüdisch?« berge »viele weitere Fragen und viele Antworten«, stellt der israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, in seinem Grußwort fest. Jüdische Kultur sei eine Vielfalt jüdischer Traditionen, wie sie seit 58 Jahren in Israel gelebt würden, sagt Stein.