von Veronika Wengert
Eine leichte Meeresbrise wiegt die Palmen in den Vorgärten der Gründerzeit-Villen. Blitzblank herausgeputzt, in majestätischem Gelb und aristokratischem Weiß, erstrahlt Opatija heute wieder im Epochenstil, nachdem der Glanz des einst mondänen Seebades zu sozialistischen Zeiten Jugoslawiens abgeblättert war. Doch es ist nicht nur das architektonische Flair, das an die Donaumonarchie erinnert, als Opatija noch Sankt Jakobi hieß, unter österreichischer Krone stand und Kaiser Franz Joseph hier weilte. Es sind auch nostalgische Namen wie Hotel Mozart oder Cafe Wagner, wo charmante Kellner in Schwarz-Weiß noch heute sündhaft verführerische »Sahertorta« (Sachertorte) servieren.
Schon zu Habsburger Zeiten überwinterten hier viele Kurgäste, fernab von Schnee und Kälte. Darunter waren auch viele Juden, die zudem als Mediziner oder Hoteldirektoren den Kurtourismus ankurbelten. Dass die jüdische Gemeinschaft ab dem ausklingenden 19. Jahrhundert maßgeblich zur Blütezeit Opatijas beigetragen hat, wissen heute jedoch nur wenige.
Die Historikerin Sanja Simper ist eine von ihnen. Steinchen für Steinchen bastelt sie in ihrer Freizeit an einem Mosaik aus alten Visitenkarten, Reklame-Faltzetteln jüdischer Hoteliers und Aufzeichnungen aus Archiven. Allerdings würden die Untersuchungen über die Juden von Opatija noch in den Kinderschuhen stecken, sagt Sanja Simper. Um ihre bisherigen Erkenntnisse mehr Menschen zugänglich zu machen, plant die Historikerin die Herausgabe von Broschüren über die jüdischen Spuren in Opatija – schließlich würden viele Touristen aus Israel anreisen.
Eine gute Woche lang kehrt nun wieder reales jüdisches Leben nach Opatija zurück, ins elegante Grandhotel Adriatic, in die Pavillons und Freiluftbühnen der Stadt. Zum Bejahad-Festival der jüdischen Kulturszene werden in diesem Jahr mehr als 300 Teilnehmer aus 24 Ländern erwartet. Aus Deutschland würden gut ein halbes Dutzend Anmeldungen vorliegen, zumeist von Juden aus dem ehemaligen Ju-
goslawien, sagt Organisator Vladimir Salamon, der in Zagreb eine Arztpraxis betreibt. Dass in diesem Jahr Opatija als Standort gewählt wurde, sei zunächst eine pragmatische Entscheidung gewesen, denn auf der Insel Hvar, wo das Festival sonst stattfindet, würden in dieser Saison viele Hotels saniert. Und Opatija sei einer der wenigen Konferenzstandorte im Land. Letztlich sei man auch vom Bürgermeister dazu eingeladen worden, sagt Salamon.
Als Höhepunkt des diesjährigen Bejahad-Festivals gelten sechs jüdisch-muslimische Gemeinschaftsprojekte, zu denen Theaterstücke, Musikbands oder Kunstausstellungen zählen. Kultur sei schließlich das beste Medium zur Überwindung eventueller Missverständnisse zwischen den Religionen, betont Salamon. Die Resonanz sei sehr positiv, bereits für kommendes Jahr würde eine Anmeldung aus der Türkei für ein jüdisch-muslimisches Kunst-
projekt vorliegen.
Im Vorfeld des Bejahad-Festivals wurde auch der jüdische Friedhof in Opatija verschönt: Eine Gruppe von gut 20 Studenten aus dem gesamten ehemaligen Jugoslawien machte sich Mitte Juli eine Woche lang daran, Unkraut zu jäten und die Wege zu säubern. Die Menuha-Aktion findet alljährlich in einer anderen Stadt in Ex-Jugoslawien statt. 70 Grabsteine mit hebräischen Inschriften, auf denen Namen wie Gelles, Szigeti oder Tipograf eingemeißelt sind, wurden auf dem jüdischen Friedhof freigelegt. Dazwischen steht das Holocaust-Denkmal: Eine Betontafel listet die Opfer der Schoa auf, obenauf prangt ein Davidstern. In den Sockel wurde ein kranzförmiges Ornament eingemauert, das einzige Relikt des ehemaligen Aron Hakodesch, der sich in den Zwischenkriegsjahren im Gebetsraum der Gemeinde befand. Bernard Nathan, der letzte Leiter der jüdischen Gemeinde bis 1940, ließ das Relikt 1955 in das neue Denkmal einbauen. Nathan war einer der wenigen Juden, die nach Opatija zurückgekehrt und geblieben waren.
Von der übrigen Ausstattung des Gebetsraums zeugen heute nur noch alte Fotografien und Berichte: Als die Gemeinde 1925 den Bau einer Synagoge in Opatija beschlossen hatte, wurden Mahagoni-Sitzbänke, ein antiker Bronzeleuchter und eben jener Aron Hakodesch, der Toraschrein, aus Triest geliefert. Das Bauvorhaben war jedoch zu kostspielig und so wurde die Idee bald nach der Grundstein-
legung auf Eis gelegt. Stattdessen kaufte man 1928 die Villa Zora, in der zwei Gebetsräume eingerichtet wurden – einer davon für Orthodoxe. Gottesdienste fanden auch auf Deutsch statt. In dem Haus lebte auch der Rabbiner. Heute befindet sich hier ein modernes Kulturzentrum mit Bücherei.
Opatija zählte zu seinen Hochzeiten 464 jüdische Bewohner. Das war in den 30er-Jahren, als viele Juden aus dem Deutschen Reich in der damals italienischen Stadt Zuflucht suchten. Einige von ihnen blieben, andere reisten über die Adria nach Palästina oder Übersee weiter. Mit dem Kriegseintritt Italiens kam es zu Festnahmen in Opatija, viele Juden wurden in Lager eingeliefert. Mussolinis Kapitulation 1943 verschärfte die Lage dramatisch, die verbliebenen Juden von Opatija wurden ins Lager Risiera di San Sabba nach Triest deportiert. Die meisten starben in Triest, einige in Auschwitz, nur wenige erlebten das Kriegsende in Italien.
Nach mehr als sechs Jahrzehnten errinnert sich die »Grande Dame« unter den kroatischen Ferienorten nun wieder an ihre jüdischen Spuren. Und mit den Bejahad-Teilnehmern aus aller Welt dürfte jener kosmopolitische Flair, den die Juden von Opatija zu Habsburger Zeiten so schätzten, noch ein kleines bisschen mehr als sonst in die Stadt einkehren.
Das Bejahad-Festival findet vom 25. August bis 1. September statt. www.bet-israel.com