»Redet Wahrheit« ist das diesjährige Motto der Woche der Brüderlichkeit – eine nicht ganz einfache Aufforderung des Propheten Sacharija. Münchens Oberbürgermeister Christian Ude formulierte es bei der Eröffnungsveranstaltung am vergangenen Sonntag im Alten Rathaus in München ganz klar: Die einzelnen Religionen können von ihrer jeweiligen religiösen Wahrheit nicht abweichen. Im Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft jedoch müssten die Gläubigen ihre jeweilige Wahrheit innerhalb der Menschenrechte, innerhalb der Grundrechte und innerhalb eines demokratischen Rahmens leben. Dazu gehöre es auch, historische Wahrheiten zu vermitteln, zum Beispiel diejenige der Schoa.
»Das Schlimmste, das man der Wahrheit antun kann, ist, sie zu kennen und dennoch sie zu ignorieren«, zitierte Bayerns Innenminister Günther Beckstein, der in Vertretung von Ministerpräsident Edmund Stoiber gekommen war, den französischen Theologen und Historiker Jacques Bénigue Bossuet. Das erfordere eine wehrhafte Demokratie, die sich auf der Grundlage von Menschenwürde, Toleranz und Freiheit mit radikalen Kräften auseinandersetze. Beckstein dankte IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, dass sie die Initiative an bayerischen Schulen »Werte machen stark« unterstütze.
Wahrheit, so mahnte der jüdische Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ), Abi Pitum, dürfe aber nicht nur heißen, nicht zu lügen. Auch Irritationen anzusprechen, gehöre da-
zu, wie etwa diejenigen, die kürzlich bei der Reise deutscher Bischöfe ins Heilige Land entstanden sind.
Der Festredner der Eröffnungsveranstaltung, Kardinal Walter Kasper, antwortete indirekt darauf: »,Dabru Emet‹ – Redet Wahrheit« bedeute auch, anzuerkennen, dass die Wunden der Vergangenheit tief sind und der Versöhnungsprozess ein äußerst fragiles Gebilde. »Es bedarf noch immer vieler Feinfühligkeit«, so Kasper, »um zwar die Wahrheit, so wie man sie selber sieht, ehrlich zu sagen, dies aber mit Augenmaß und Sensibilität zu tun.« Emet (hebräisch Wahrheit) bedeute im ursprünglichen Sinne Treue, auf die man sich verlassen kann und zu der man steht. Nur wenn eine Partnerschaft in Anerkennung der Würde des anderen gelinge, könne dieses neue Verhältnis Modell sein für die notwendige versöhnte Verschiedenheit.
Die Bereitschaft gegenseitigen Kennenlernens zeigt das immer wieder erwähnte neue Gemeindezentrum am Münchner Jakobsplatz. Diesem und den jüdischen Vertretern, allen voran Charlotte Knobloch, galt bei der Begrüßung durch die evangelische Vorsitzende der GCJZ, Brunhilde Töllner, besonders starker Applaus. Unter den Ehrengästen waren zahlreiche Vertreter der christlichen Kirchen, des konsularischen Corps, der Landes- und Stadtpolitik sowie die Münchner Ehrenbürgerin und langjährige Bundespolitikerin Hildegard Hamm-Brücher sowie Herzog Franz von Bayern. Miryam Gümbel
Woche der Brüderlichkeit