USA

Vorleben, bitte

von Sue Fishkoff

Bettina Kurowski hat drei kleine Enkelkinder. Sie machen ihr große Freude, doch als Oma ist sie auch besorgt um sie, denn der Vater der Kinder ist nicht jüdisch. Sie wachsen in einem interreligiösen Zuhause auf, und Kurowski ist sich trotz ihres jüdischen Engagements nicht sicher, welche Rolle sie bei der Weitergabe des für sie so wichtigen jüdischen Erbes spielen soll. »Mein Mann und ich möchten die jüdische Tradition, die Kultur und Werte in unserer Familie bewahren«, sagt Kurowski. »Ich habe es auf mich genommen, alles zu lernen, um eine möglichst gute Großmutter zu sein und gleichzeitig die nichtjüdische Seite der Familie anzuerkennen.« Sie wolle den Kindern nicht das Gefühl vermitteln, dass mit Menschen, die nicht jüdisch sind, irgendetwas nicht stimme, sagt Kurowski, dennoch wolle sie den Enkeln auch Stolz auf ihr Jüdischsein mitgeben. Eine Gratwanderung.
Bettina Kurowski hörte sich um und stellte fest, dass es für Großeltern wie sie wenig Unterstützungsangebote gab. Sie sei in ihrem Bekanntenkreis die Einzige gewesen, berichtet sie, deren Kinder eine Mischehe eingegangen waren, und sie verspürte das Bedürfnis, ihre Sorgen mit Leuten zu teilen, die sich in der gleichen Lage befanden. Diese Chance hat sie jetzt, wenn in ihrer Synagoge im kalifornischen Encino zum ersten Mal der sogenannte Großelternkreis zusammenkommt.
Unter der Ägide dieses Kreises beginnen demnächst in Los Angeles und Atlanta Pilotkurse. Das Jewish Outreach Institute (JOI) hat ein neues Programm initiiert, das Omas und Opas helfen soll, ihren Enkelkindern aus Mischehen ihr jüdisches Erbe zu vermitteln. Fünf Wochen lang treffen sich Großeltern, um in Gruppen von 20 bis 25 Teilnehmern unter Anleitung zu diskutieren, ihre Sorgen auszusprechen und spezielle Fähigkeiten zu erwerben, die sie in die Lage versetzen sollen, jüdische Geschichte und Tradition weiterzugeben, ohne sie den Kindern aufzuzwingen. »Es muss in einer Art und Weise geschehen, die es für die Enkelkinder interessant macht«, erläutert Liz Marcovitz, Projektverantwortliche am JOI. »Man kann nicht einfach ohne jeden Zusammenhang anfangen, über das Judentum zu reden.« Angeregt wurde das Kursprogramm von einer Broschüre, die das JOI im vergangenen Jahr herausgebracht hat: »Zwanzig Dinge, die jüdische Großeltern interreligiöser Enkelkinder tun sollten«, so der Titel der Publikation. Nachdem Kurowski den Text gelesen hatte, spendeten sie und und ihr Mann das Geld für die Erstellung eines Lehrplans auf der Grundlage der Broschüre. Kurowski hofft, dass das Angebot auf andere Synagogen im Großraum Los Angeles ausgeweitet wird.
Suzette Cohen organisiert das Projekt in Atlanta. Seit sechs Jahren, erzählt sie, betreibe die jüdische Gemeinde der Stadt – die Mischehenrate liege bei 60 Prozent – einen Mütterkreis für nichtjüdische Frauen, die jüdische Kinder aufziehen. Viele der jüdischen Eltern dieser interreligiösen Ehepaare wünschen sich ein ähnliches Programm für sich. »Sie reden um den heißen Brei herum, versuchen, das Problem zu ignorieren, weil sie fürchten, dass sie etwas Falsches tun oder sagen könnten« und damit ihr Kind oder den nichtjüdischen Ehepartner beleidigen, so Cohen.
Der erste Kreis in Atlanta ist bereits ausgebucht, so dass demnächst ein zweiter beginnen wird. Buch und Kurs beruhen auf dem Grundgedanken Lehren durch Vorleben: »Laden Sie die Enkelkinder zum Pessach-Seder bei sich zu Hause ein, zeigen Sie ihnen Bilder Ihrer Familie, zünden Sie Schabbatkerzen an, und erzählen Sie Ihren Enkeln, warum es Ihnen wichtig ist. Bauen Sie Schichten jüdischer Erinnerungen« auf – all dies schlägt das Buch vor und baut darauf, dass den Kindern die Erinnerungen daran bleiben, wenn sie erwachsen werden.
»Der Einfluss der Großeltern auf das Leben ihrer Enkel wird unterschätzt«, behauptet Paul Golin, Vize-Direktor des JOI. In umfänglichen Studien zum Thema »Erwachsene Kinder interreligiöser Ehepaare« fand das Institut heraus, dass einer der Haupteinflüsse auf die religiöse Identität dieser jungen Erwachsenen ihre Großeltern waren. Aber es ist kein simples Weitersagen. »Es kann nur ein ganzheitlicher Prozess sein«, erklärt Golin. Wenn die Großeltern einfach nur sind, wer sie sind, und mit den Enkelkindern Kontakt haben, wird sich der Einfluss bemerkbar machen.
Voraussetzung für das großelterliche Engagement ist jedoch, dass ihre in Mischehen lebenden Kinder dieser Idee gegen-über auch aufgeschlossen sind. Werden die Enkel nur christlich erzogen, ist das Prob-lem laut Golin viel heikler. Das ist die Situation, mit der sich Rose Sadowsky konfrontiert sieht, eine Großmutter, die in der Nähe von Atlanta lebt und deren beide Enkel als Methodisten aufwachsen. Die Kinder sind sich »bewusst«, dass ihre Großmutter jüdisch ist, sie besuchten sie an Heiligabend und sahen, dass sie keinen Weihnachtsbaum hat – doch sie stellten keine Fragen. »Es wird ihnen zu Hause souffliert, was sie sagen dürfen und was nicht«, vermutet Rose Sadowsky. Sie erwartet zwar nicht, dass sie die religiöse Erziehung ihrer Enkelkinder beeinflussen kann, hat sich aber beim Großelternkreis angemeldet, weil sie sich moralische Unterstützung erhofft.
Bob Licht, halbpensionierter Zahnarzt aus Los Angeles, ist der einzige alleinstehende Mann in der Gruppe. Als seine Frau vergangenen Sommer starb, hatte er das Gefühl, dass er Hilfe brauchte, um seinem vierjährigen Urenkel das jüdische Erbe weiterzugeben. Der Vater des Jungen ist jüdisch, die Mutter nicht. Licht sagt, seine Kinder und Enkelkinder, hätten durch ihn und seine verstorbene Ehefrau gelernt, das Judentum zu verstehen und zu würdigen. Nun, da sie gestorben ist, fühlt sich Licht ein wenig hilflos. Der Junge ist zwar beschnitten, aber Licht möchte, dass er auch weiterhin einen jüdischen Weg geht. »Ich wünschte, meine Frau wäre hier, um mir zu helfen.«

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