Henryk Mandelbaum

Vor, in und nach Auschwitz

von Markus Götte

Leicht gebückt steht der alte Mann zwischen Trümmern aus Beton und verbogenen Eisenteilen. Mit ausgestreckten Händen greift er etwas in der Luft, zieht und zerrt an unsichtbaren Dingen, blickt fragend in die Kamera: Versteht ihr? Henryk Mandelbaum ist in der Ruine von Krematorium Nr. II am Ende der Rampe in Auschwitz-Birkenau und erklärt. Dort mußte er die Leichen der Ermordeten aus den Gaskammern schleppen und in den Öfen oder offenen Gruben verbrennen. Der inzwischen 83jährige gehörte zum Sonderkommando in der Todeszone von Auschwitz-Birkenau.
Eine Fotoausstellung, die bis zum 12. März in Kassel zu sehen ist, beschreibt mit Bildern und Texten detailliert, was Mandelbaum im Sonderkommando erlebte: Wie die Menschen in den Gaskammern standen und wie sie aussahen, wenn die Türen geöffnet wurden. Was von einem Menschen schnell verbrennt und was schließlich übrig bleibt.
Doch die Ausstellung reduziert Mandelbaums Leben nicht auf seine Zeit als Häftling in Auschwitz. Gezeigt wird auch die Zeit vor Auschwitz und die danach. Im Nachkriegspolen züchtete er im Nebenerwerb Blau- und Weißfüchse und verkaufte die Felle. Man sieht ihn mit stolz-verwegenem Gesichtsausdruck, das Fell eines Weißfuchses um den Hals drapiert. Mandelbaum ist auch begeisterter Sammler von Porzellanfiguren. Auf einem Bild hält er zärtlich die Figur einer Primaballerina in seinen kräftigen runzeligen Händen. Ein anderes Foto zeigt ihn lachend mit seiner Ehefrau beim Kartenspiel. »Ich bin von Natur aus lustig. Das bin ich nach außen. Aber das ist in Auschwitz irgendwie zerstört worden«, liest man darunter.
Seit fast zehn Jahren begleitet Henryk Mandelbaum Gruppen des Bildungswerks Stanislaw Hantz aus Kassel zu Studienreisen nach Auschwitz. Während dieser Fahrten ist die Idee zu der Ausstellung entstanden. Karin Graf, Autorin und Mitarbeiterin des Bildungswerks Hantz aus Kassel, hat Henryk Mandelbaum interviewt. Fotografiert hat Andreas Dahlmeier. Beide haben den Sonderkommandohäftling mehrfach an seinem polnischen Wohnort Gliwice besucht und nach Auschwitz-Birkenau zu den Ruinen der Krematorien begleitet. Dort sind einige besonders beeindruckende Nahaufnahmen entstanden, die dramatisch, aber nie kitschig wirken. Den Kopf leicht zur Seite geneigt, preßt Henryk Mandelbaum auf einem Foto seine Lippen fest zusammen. Mit seinen Augen scheint er die Ausstellungsbesucher zu fixieren und zu fragen: »Was denkt ihr nun über mich?«

Nur die Sterne waren wie gestern –
Henryk Mandelbaum, Häftling des
Sonderkommandos in Auschwitz-Birkenau.
Museum für Sepulkralkultur Kassel
www.sepulkralmuseum.de

Dokumentation

Lesen Sie hier den Entwurf für die Antisemitismus-Resolution

Die demokratischen Parteien im Bundestag haben sich endlich auf eine Resolution gegen Antisemitismus geeinigt. Wir veröffentlichen den Entwurf im Wortlaut

 05.11.2024

Flüchtlingshilfswerk

Israel verbietet UNRWA Arbeit auf seinem Staatsgebiet

Israel schränkt die Arbeit des UN-Hilfswerks für die Palästinenser nach Terrorvorwürfen massiv ein

 28.10.2024

Berlin

Schimon Stein: Jüdisches Leben in Deutschland bleibt bedroht

»Der Schutz des jüdischen Lebens ist zum deutschen Mantra geworden«, so der Ex-Botschafter

 23.10.2024

Schloss Meseberg

Scholz dankt Katar für Vermittlung im Nahost-Krieg

Das Emirat ist Vermittler, gilt aber auch als Terror-Finanzier

 23.10.2024

Nahost

Baerbock macht sich in Beirut Bild der Lage

Die Außenministerin warnt vor »völliger Destabilisierung« des Libanon

 23.10.2024

Nahost-Krieg

London schränkt Waffenexporte nach Israel ein

Staatssekretärin Anneliese Dodds spricht von einer Begehung mutmaßlicher Kriegsverbrechen

 23.10.2024

Video

Was Sinwar kurz vor dem Überfall auf Israel machte

Die israelischen Streitkräfte haben Videomaterial veröffentlicht, das Yahya Sinwar am Vorabend des Hamas-Überfalls am 7. Oktober 2023 zeigt

 20.10.2024

Gaza

100.000 Dollar für jede lebende Geisel

Der Unternehmer und ehemalige Sodastream-CEO Daniel Birnbaum hat den »guten Menschen in Gaza« ein Angebot gemacht

 20.10.2024 Aktualisiert

Feiertage

Chatima towa, oder was?

Was von Rosch Haschana über Jom Kippur bis Sukkot die korrekte Grußformel ist

von Rabbiner Yaacov Zinvirt  24.10.2024 Aktualisiert