Am Anfang des Wochenabschnitts erhält der Priester den Segen des Herrn. »Siehe, ich gebe ihm meinen Bund des Friedens; und er soll haben und sein Same nach ihm den Bund eines ewigen Priestertums, darum dass er für seinen G’tt geeifert und die Kinder Israels versöhnt hat« (4. Buch Moses 25,12-13). Der Segen des Herrn wurde Pinchas zuteil, weil er einen Israeliten und eine Midjaniterin tötete, die er im Mischkan, dem Heiligtum, beim Liebesakt erwischt hatte (25, 6-8).
Es gibt kaum eine Episode in der Tora, die den heutigen Leser mehr verwundern würde als dieser scheinbar tolerierte, mit g’ttlichem Segen »sanktionierte« priesterliche Mordakt.
raschi Bei der Deutung dieser Tat scheint uns heute die Meinung des populärsten Exegeten Raschi (1040-1105) wenig hilfreich: Vielleicht aufgrund einer Debatte der Tanaiten im Talmud (Sewachim 101b) gibt er zu bedenken, dass Pinchas möglicherweise zu der Zeit noch gar nicht zum Kohen gesalbt war. Es ist schier unverständlich, dass G’tt den Bund der Kehuna, der Priesterschaft, und den Bund des Friedens mit Pinchas geschlossen hat. Sollten wir diesen Bund als das Ergebnis einer Mordtat verstehen?
götzendienst Zu einer genaueren Wertung dieser harten Strafe, die Pinchas eigenmächtig erteilt hat, gehört, dass der Geschlechtsakt, der die Mordtat auslöste, nicht ein harmloses Schäferstündchen war, sondern der Beischlaf geschah in Verbindung mit götzendienerischen, heidnischen Handlungen. Hinzu kam, dass dieser Liebesakt im Mischkan, dem zentralen Kultort unserer Vorfahren, stattfand. So etwas galt im antiken Orient nicht nur als Beischlaf, sondern war vor allem ein götzendienerischer Kultakt (Awoda sara), durch den man heidnischen Götzen opferte. Das Wissen um diese Hintergründe veranlassten Pinchas zu der fanatischen Handlung. Ihm ging es darum, den Götzendienst auszulöschen.
gewalt Wenn wir Pinchas’ »heiligen Akt« mit den sogenannten Heiligen Kriegen vergleichen wollen, müssen wir eines beachten: Bei den christlichen Kreuzzügen und dem islamischen Djihad zwingt eine religiöse Gemeinschaft ihre Wertordnung mit Gewalt einer anderen, fremden Gesellschaft auf und versucht, Mord oder Bekehrung als »heilige Handlung« zu legitimieren. Die gewalttätigen Handlungen der Leviten in der Tora, wie die nach dem Tanz ums Goldene Kalb, geschahen hingegen allein unter den Israeliten. Die Leviten bestraften Taten im eigenen und nicht im fremden Volk.
Die rabbinische Tradition verurteilt jene zornigen Gewalttaten der antiken Geschichte Israels. In allen Fällen weist sie die Deutung streng zurück, diese Morde zu legitimieren.
erbstreit Unser Wochenabschnitt hat ein weiteres großes Thema. Es geht um eine Erbschaftsangelegenheit. Vier Frauen treten vor Mosche und seinen Führungsstab. Sie erläutern ihre Familienverhältnisse und erzählen von ihrer Abstammung. Dann berichten sie, dass ihr Vater während der Wüstenwanderung der Israeliten gestorben ist (4. Buch Moses 27,3). Sie betonen, dass ihr Vater ein unbescholtener Mensch war und sich an keinem Aufruhr gegen Mosche beteiligt hatte, so wie viele andere Israeliten es getan hatten. Da aber der Vater keinen Sohn hinterlassen hat und die Familie nur aus Frauen besteht, drohe ihnen nun, »dass der Name unseres Vaters aus seiner Familie gemindert werden solle« (27,4).
entschlossenheit Die Frauen wollen nicht hinnehmen, dass hier das orientalische Gewohnheitsrecht der Umgebung ausgeübt werden soll. Sie fordern zielbewusst und bestimmt: »Gib uns Besitz(rechte) unter den Brüdern unseres Vaters!« Die Frauen befürchten – vermutlich zu Recht – dass ihr Fall, wie viele andere ähnlich gelagerte Erbschaftsangelegenheiten in der gesamten antiken Welt, von den nächstbesten männlichen Angehörigen entschieden werden könnte. Dagegen wehrten sie sich entschlossen.
Und wie reagierte die israelitische Männerwelt, die sogenannten Patriarchen? Die Tora setzt die Erzählung fort: »Mosche brachte ihre Rechtsfrage vor den Herrn« (27,6). Also keine eigenmächtige Männerwillkür gegen die Frauen.
Zu alledem sprach der Herr: »Recht reden die Töchter Zelophchads« (27,7), so hieß der verstorbene Vater. »Geben sollst du ihnen Erbbesitz unter den Brüdern ihres Vaters, und (du) sollst das Erbe ihres Vaters auf sie übergehen lassen.«
frauenrechte Der Herr der Welt, als oberster Richter unserer Väter, wertet, erweitert und vertieft diesen individuellen Fall sogar: »Wenn jemand stirbt, und er hat keinen Sohn, so sollt ihr sein Erbe auf seine Tochter übergehen lassen« (27,9). »Dies gelte (fortan) bei den Kindern Israels als ewige Rechtssatzung, wie der Herr Mosche befohlen hat.«
Dieser Rechtsentscheid von oberster Stelle lässt uns erkennen, wie wenig frauenfeindlich die Gesellschaft der Tora war. Die jüdische Frau ist in einer entscheidenden juristischen Frage als selbstständige, gleichberechtigte Person aufgetreten und wurde nicht, wie in so manch anderen Religionsgemeinschaften, zum Schweigen gebracht.